Ich sitze im Zug von Paris zurück über Zürich nach Lugano, nach Hause. Seit einiger Zeit nehme ich wahr, wie sich genau dieses Thema – «zuhause sein» – verändert.
Lange Zeit konnte ich mir etwa ein Leben ausserhalb von Zürich nicht vorstellen. Dihei, das war ganz klar Züri. Ich kannte nichts anderes.
Nun lebe ich in den Hügeln des Malcantone im Tessin – und fühle mich dort extrem zuhause. Obwohl ich weder Wurzeln im Tessin habe, noch die Sprache sonderlich gut beherrsche. Eigentlich, ja eigentlich möchte ich nie weg von dort, so schön ist es.
Nichtsdestotrotz bin ich immer wieder en route, unterwegs. Weil das Leben keine eindimensionale Sache ist, sondern vielschichtig, oft mysteriös.
Kürzlich war ich etwa ein paar Tage in Paris. Das war eine grosse Überraschung, auf sehr vielen Ebenen, die erstmal verdaut werden möchten.
Ich bewege mich wie zuhause – frech und erfrischend
Was ich mehr und mehr erlebe ist dieses Gefühl von: egal wo ich bin, ich bin zuhause. Als ich etwa über Weihnachten und Neujahr Freunden umziehen half und einen Moment bei ihnen lebte, bewegte ich mich in ihrem neuen Zuhause, als wäre es meins. Etwas komisch zu beobachten erstmal, frech irgendwie.
Letztlich hat es aber eine erfrischende und unendlich angenehme Qualität, wenn sich alle Haushaltsmitglieder authentisch und frei bewegen.
Nicht erst um Erlaubnis fragen etwa. Sondern wenn die Bewegung im Moment ist: «ich möchte jetzt im Wohnzimmer auf meinen Tennisbällen umerugele» ist, dann geschieht das. Und ist oftmals ansteckend – vielleicht ist jemand anders ebenfalls inspiriert, dasselbe zu tun. Oder inspiriert, ihre oder seine ganz eigene, authentisch-erfüllende Bewegung zu finden.
Jegliche Konditionierung schreit natürlich dagegen, findet solches Erleben absurd. Natürli. Bringt gerne Einwände à la «wo kämen wir denn hin, wenn alle blablabla».
All jenen Einwänden und Einsprüchen gibt es einzig eins entgegen zu halten: Die direkte Erfahrung.
Lass dich mal darauf ein. Getrau dich. Wenn auch nur für fünf Minuten.
Dem zu folgen, was sich im Körper nach Ausatmen anfühlt, nach Platz und Weite. Dann können wir uns weiter unterhalten.
Wessen Job ist es, sich um fundamentale Sicherheit zu kümmern?
Aber zurück zum Thema «dihei». Mein Gefühl, zuhause zu sein, hängt stark davon ab, ob und wie sicher ich mich fühle. Persönlich war das als zutiefst traumatisiertes Ding lange sehr abhängig von äusseren Umständen.
Nach und nach darf das weicher werden, unabhängiger von Parametern wie «wo und wie». Klar gibt es authentische, echte Präferenzen. Viel Luft und Stille etwa. Doch diese Präferenzen sind nicht absolut, müssen nicht rigide von einem separaten Ich sichergestellt werden.
Das hat sich in Paris gerade so schön zeigen dürfen: Eine Grossstadt ist eine riesige Herausforderung für jemanden, die off the charts sensibel ist. Ich spüre all die Menschen, all die Gedanken, all die Bewegungen, alles.
Das macht es zum Beispiel schwer, wirklich tief zu schlafen. Was sich zunächst nach einer Aufgabe für mein separates Ich anfühlte, «ich muss etwas tun dagegen».
«Gsorget gäh» – braucht ordentlichen Mut
Blödsinn. Es ist das Leben selbst, das sich kümmert, um Schlaf und Essen und Wohlbefinden, alles schlussamänd. Doch dieses tatsächliche «Gsorget gäh» («gesorgt geben») wie es eine meiner Klientinnen ausdrückt, verlangt (mal wieder) eine ordentliche Portion Mut.
Wenn wir uns noch nicht einmal getrauen, unseren simpelsten Bedürfnissen zu folgen (wie etwa auf die Toilette zu gehen, wenn wir müssen – und nicht warten, bis es vilich echli besser passt), wie viel schwerer ist es da, eine ganze Situation quasi dem Leben in die Hände zu legen? «Ich finde diese Grossstadt nicht ganz einfach, hier, mach du?»
Aufgehoben und getragen – unabhängig von äusseren Faktoren
Mein Mut jedenfalls wurde und wird um ein Vielfaches belohnt. Plötzlich fühlte ich mich vögeliwohl in dieser Stadt, obwohl sich äusserlich nichts geändert hatte. Plötzlich war da dieses felsenfeste und zugleich weiche Gefühl von: Ich bin sicher.
Plötzlich war ich zuhause, inmitten des Tumults und der Dichte an Menschen.
Plötzlich war so klar, ich habe hier rein gar nichts zu tun. Sondern darf mit all den Varianten des Lebens, an all den verschiedensten Orten der Welt spielen.
Stets aufgehoben und sicher. Stets getragen. Zuhause, egal wo ich gerade bin.