Das Horror-Genre ist nicht jederfraus/jedermanns Sache. Nicht alle mögen das gepflegte Gruseln mittels Filmformaten, die uns Monster, Zombies, Mörderpuppen und Killerclowns vorführen. Einige kriegen davon Albträume, und anderen reicht sowieso der Horror des alltäglichen Wahnsinns – die brauchen sich in diese Richtung nicht mehr zusätzlich zu bespassen.
Die Netflix-Serie «Stranger Things» wäre jedenfalls ein Versuch wert, es mal (wieder) mit dieser Sparte von Filmen zu versuchen. Zum einen ist es nicht eine typische Horror-Produktion: Es fliesst kaum Blut, und die drei Staffeln der Erfolgsserie kommen weitgehend ohne unappetitliche Hässlichkeiten aus.
Zum anderen liefert «Stranger Things» aber eine hervorragende Gelegenheit, sich seinen Ängsten zu stellen und über den eigenen Umgang mit dem Furcheinflössenden nachzudenken.
Angst
Die Duffer-Brothers, inzwischen die gefeierten Schöpfer dieses in den 80er-Jahren spielenden Formates, haben die Serie ausdrücklich als eine Auseinandersetzung mit menschlichen Ängsten konzipiert. Sie waren inspiriert vom Film «Prisoners» (2013) mit Hugh Jackman – er erzählt die Geschichte eines Vaters, dessen Tochter entführt wird.
Dieser Verlust, die verzweifelte Suche nach dem verlorengegangenen Kind, die seelischen Abgründe, in welche der Vater gestürzt wird, was das Motiv, aus dem sich Stranger Things entwickelte.
Natürlich wird dieser emotionale Impuls dann ins Horror-Genre transferiert, in die charmanten 1980er-Jahre verlagert und auf äusserst engagierte Weise erzählt. Im Kern dreht sich die Serie aber nach wie vor um die Frage, was die Angst mit einem Menschen macht – und wie sich angemessen damit umgehen lässt.
Glaube
Nun bildet sich das Christentum immer wieder ein, sich in Sachen Angst kompetent einbringen zu können. Zyniker würden einwerfen: Ja klar, die haben ja historisch auch genügend Ängste geschürt. Aber das ist natürlich nicht gemeint, wenn wohlmeinende Christ*innen von der befreienden Kraft des Glaubens sprechen: Sie meinen dann oft, dass der Glaube Menschen eben von ihren Ängsten befreit.
Ganz falsch ist das sicher nicht. Aber eben auch nicht wirklich richtig. Ja, gewiss hat der Johannesbriefschreiber den Anhängern der Jesusbewegung zugesprochen, dass die vollkommene Liebe alle Angst austreibt. Aber wo gibt’s auf dieser Erde denn vollkommene Liebe?
Es gibt jedenfalls eine lange Tradition der Verteufelung der Angst in Christentum und Kirche. Angst wird dann als Antithese des Glaubens verkauft, als Inbegriff dessen, was um jeden Preis vermieden werden sollte …
Phobien
Zugestanden: Es gibt krankhafte, irrationale, ungerechtfertigte Formen der Angst, welche keiner braucht. Wer einmal die Bandbreite an Phobien googelt, wird sich die Augen reiben über all das, wovor Menschen eine panische Furcht entwickeln können. Grosse Plätze, kleine Räume, zu viele Menschen, Züge, Flugzeuge, Clowns (hier ist das Horror-Genre wieder…), Katzen, Hunde, Spinnen, Bienen, Vögel etc.
Solche Ängste können Menschen arg zusetzen und ihren Alltag einschränken, ohne dass dahinter eine realistische Gefahr steht. Sich diesen Ängsten zu stellen und sie mit therapeutischer Hilfe (und gerne auch im Festhalten am Glauben) zu überwinden, lohnt sich auf jeden Fall.
Eine Bekannte mit einer ausgeprägten Arachnophobie hat vor Kurzem im Basler Zoo einen Desensibilisierungskurs gemacht – und zum Schluss voller Stolz eine Vogelspinne ihren Arm hochkrabbeln lassen. Da ist sie weiter gekommen als ich selbst …
Gefahren
Angst ist aber keineswegs in jedem Fall krankhaft und irrational, und sie ist auch ganz sicher nicht einfach das Gegenteil des Glaubens. Es gibt echte Gefahren. Und vor denen fürchtet man sich zu Recht. Die Begabung zur Angst ist eine äusserst lebensdienliche Einrichtung – ohne sie wären wir alle wohl längst schon tot.
“In der Welt habt ihr Angst”,
sagt Jesus von Nazareth sehr prominent und nüchtern. Und wenn er anfügt, er aber habe die Welt überwunden, dann meint er damit kaum, es gebe nun keinen Grund mehr, sich zu fürchten. Er selbst wurde im Garten Getsemaneh wenig später von Panik übermannt.
Vielmehr spricht die Dialektik der beiden Aussagen dafür, den Glauben nicht als Überwindung der Angst, sondern als Befähigung zur Angst zu verstehen. Oder, etwas präziser formuliert: Der Glaube befreit uns nicht von der Angst, sondern befähigt uns, mit Ängsten zu leben.
Sicherheit
Und das gilt nicht, weil der Glaube dem Glaubenden irgendwelche Sicherheitsversprechen machen würde. Mit katholischen Ordensschwestern gefüllte Flugzeuge sind statistisch ziemlich sicher nicht weniger absturzgefährdet als solche, welche Teilnehmer ans atheistische Jahrestreffen transportieren. Nach allem, was wir wissen, sind auch die Heilungschancen eines krebskranken Pfarrers nicht wirklich besser als die einer überzeugten Gottesleugnerin.
Nein, was den Glauben angstfähig macht, ist die Gewissheit, dass auch das Eintreffen der schlimmsten Befürchtungen nicht im Stande ist, einem die letzte Hoffnung zu rauben. Dass auch das schlimmste Horrorszenario nicht das letzte Wort haben wird – weil sich der Glaube an jenem festmacht, der den Tod überwunden hat.
Um Thorsten Dietz, mit dem ich ein spannendes Podcast-Gespräch zur Serie «Stranger Things» geführt habe, das letzte Wort zu geben: »Nicht Angstfreiheit, sondern Angstfähigkeit ist die Haltung des Glaubens. Denn vertrauen, glauben heisst nicht: ›Ich habe keine Angst mehr‹, sondern vielmehr: ›Ich vertraue auf etwas, was letztlich stärker ist als das, was mich bedroht‹.«
3 Gedanken zu „Wir haben (k)eine Angst“
Vielen Dank Manuel für deinen realistischen Post. Nun, die “katholischen Nonnen und der krebskranke Pfarrer” könnten im Fall der Fälle noch die Möglichkeit eines Wunders einbeziehen…
Danke für die Rückmeldung! Ja, auf ein Wunder darf man wohl immer hoffen…;-)
Endlich darf ich gläubig sein und trotzdem Angst haben. Angstfähigkeit ist ein genialer Gedanke. Und weil ich jetzt weiss, dass ich die Angst gerne jeden Tag aufs Neue überwinden kann, habe ich gar keine Angst mehr. Druck weg, Angst weg… Amen!