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Wildwechsel: Von Tieren Stillsein lernen

Wir näherten uns dem Damhirschgehege. Es liegt am Nordhang eines kleinen Berges, einem Ausflugsziel in meiner Kärntner Heimat. Alles war an dem Tag in eine glitzernde Frostschicht gepackt. Stellenweise lag Schnee.

Die Kuppe des schon in der Römerzeit besiedelten Magdalensberges mit einer alten Kapelle auf der Spitze ragte aus einem dichten Nebelmeer hervor. Es reichte bis zum Horizont, über uns war blauer Himmel.

Wir quatschten und blödelten und hatten auf dem kurzen Weg vom Gasthaus hinunter zum Wildtiergehege Mühe, auf dem abschüssigen Gelände mit unserem unpassenden Schuhwerk nicht auszurutschen. Wir tapsten über gefrorene Fussspuren von Spaziergängern, die vor uns da waren, und umschifften Eisflächen.

Wir lachten das Tier aus

Hinter der Hügelkuppe kam der erste Damhirsch in Sicht. Das Tier schlich mit gesenktem Kopf durch den Matsch entlang des Maschendrahtzauns, als suchte es einen Ausgang. Als es uns kommen sah, gab es sonderbare Laute von sich, fast bellend. [1] Die heisseren Töne schienen nicht zu Hirschen zu passen, jedenfalls überraschten sie uns.

Wir lachten über das Tier, liessen uns sogar hinreissen, die gellenden Laute nachzumachen.

Die anderen Hirsche und selbst die Hirschkälber bewegten sich kaum. Fast konnte man denken, sie wären in der Winterlandschaft festgefroren. Im Wildgehege war der Boden zerstampft und erdig. An vielen Stellen war es matschig.

Wie schaffen es die Tiere, sogar im Winter Tage und Nächte im Freien zu verbringen, ohne schlechte Laune zu bekommen? Und ohne am Steilhang abzurutschen oder zu erfrieren?

Die Tiere waren schon eine Weile vollkommen still. Erst jetzt bemerkten wir unseren Lärm, unsere Unruhe.

Wir staunten über die tiefe Stille der Tiere und ihre milde Ernsthaftigkeit.

Die überraschende Stille der Hirsche

Ein fellbekleidetes Gegenüber blickte mich aus grossen, dunklen, wimpernumrahmten Augen an, ganz ohne Urteil. Es stellte seine grossen Fellohren auf und schien ganz aufzugehen im Lauschen und Schauen.

Die Zeit kam mir auf einmal wie angehalten vor.

Der Atem des Tieres ging langsam und ruhig. Der Hauch aus seinem Maul zeichnete Dunstwölkchen in die Winterluft.

Die Stille des rätselhaften Wesens fand ein lautloses Echo in der Nebellandschaft, die jetzt anders auftauchte als vorhin. Ein leises Rauschen kam aus dem Fichtenwald unterhalb des Geheges. Zwischen Bäumen hatten sich feuchte Schatten eingenistet. Der Wald atmete Kühle.

Jetzt waren auch wir ganz still.

Und ein bisschen beschämt. Weil wir vorhin gedankenlos und lärmend in die Welt der Tiere hineingetrampelt waren.

Sie legten es uns aber nicht zur Last.

Wir sollen beim Betreten von Wäldern um Erlaubnis bitten. Dies gebiete der Respekt vor anderen Wesen, lautet eine indigene Überzeugung.

Ergriffenwerden zeugt vom Heiligen

Die mystischen Wesen im Waldpark strahlten eine ansteckende Ruhe aus. Zugleich war eine unterschwellige Anspannung zu spüren.

Fluchtreflexe sind bei Beutetieren immer nur einen Muskelimpuls weit von der Gelassenheit entfernt.

Vielleicht liegt gerade in der gespannten Ruhe ein besonderer und fast heiliger Zauber?

Wenn in jeder Regung Todesernst mitschwingt, ist auch die Kostbarkeit des Lebens jede Sekunde fühlbar.

Es war Weihnachtszeit. Etwas von der heiligen Stille dieser Zeit begegnete uns überraschend im Waldgehege und ergriff uns.

Nach dem Soziologen Hans Joas zeugt tiefes Ergriffenwerden von der Anwesenheit und Macht des Heiligen.

[1] Damhirsche haben ein differenziertes Repertoire an Lauten, das je nach Situation und Jahreszeit variiert. Dazu gehört Blöken, Miauen, Brunftrufe, die an Grunzen oder Rülpsen erinnern, klagende oder auch bellende Laute.

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Foto von Seen auf Unsplash

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