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 Lesedauer: 4 Minuten

Vintage-Sommerlektüre (4): Erich Maria Remarque, «Im Westen nichts Neues»

Auf der Suche nach Sommerlektüre? Was jedes Jahr neu auf den Buchmarkt kommt, lässt einen schwindeln, aber literarische Oldtimer halten da problemlos mit. Gastautorin Claudia Dahinden sinniert lustvoll, welche Bücher sie immer wieder lesen könnte und warum.

Wer erinnert sich noch an die Pflichtlektüre aus der Mittelschule? Was wurden wir doch mit gehaltvoller Literatur abgefüllt: Von Manns «Die Buddenbrooks», Fontanes «Effi Briest», Frischs «Andorra» bis zu Dürrenmatts «Besuch der alten Dame».

Am meisten Eindruck hat auf mich ein anderes Buch gemacht: «Im Westen nichts Neues» von Erich Maria Remarque.

Erschütternder Kriegsbericht

Die Rahmengeschichte von «Im Westen nichts Neues»: Eine Schar junger Männer, den Schulbänken noch nicht entwachsen, zieht voller Patriotismus in den Krieg.

Lernt kämpfen, lernt töten, sieht Freunde sterben. Und verliert dabei Vergangenheit und Zukunft.

Am besten drückt es Erich Maria Remarque in seinem Vorwort aus: «Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam.»

Unmittelbares Grauen

Mir ging das Gelesene so nahe, dass ich mich bis heute an diesen Traum erinnern kann: Ich kroch durch markerschütterndes Trommelfeuer. Presste meinen Körper in aufgerissenen Schlamm, duckte mich, kroch weiter. Die Schreie der Getroffenen drangen an mein Ohr, vermischten sich mit dem Donnern der Kanonen. In der Luft: Der Geruch der Toten.

Remarque drückt in knapper Sprache die ganze Unmenschlichkeit und Perversität des Krieges aus.

Wenn wir seine Bilder aufnehmen, leiden wir mit, spüren die Verlorenheit und Zerrissenheit dieser jungen Männer. Sie gehören nirgends hin, weil der Krieg ihre zarten Wurzeln von Identität und Heimat weggeschwemmt und sie zu alten Männern gemacht hat.

«Wir sind alle nicht mehr als zwanzig Jahre«, bemerkt Erzähler Paul Bäumer. «Aber jung? Jugend? Das ist lang her. Wir sind alte Leute.»

Freude blitzt inmitten des Grauens auf

Trotz des Grauens erleben wir auch die heiteren und hoffnungsvollen Momente hautnah mit. Wir sitzen im Keller beim saftigen Gänsebraten, den Haudegen «Kat» beschafft hat, über uns das Gebrüll der Geschütze. Wir erleben die stillen Freuden eines Tages hinter der Front, wo das Summen der Bienen das ferne Kanonendonnern übertönt.

Gerade weil Remarques Sprache im Zusammenhang mit dem Kriegserleben so knapp und rational ist, geht es ans Herz, wenn Bäumer sich auf die Suche nach dem begibt, was vorher war. Wenn er im Heimaturlaub vor seinen Büchern steht und schmerzhaft erlebt, dass sie in ihm heute weder Zauber noch Sehnen auslösen können.

Politische Botschaft wider Willen

Obwohl Remarque betonte, sein Buch sei nicht politisch, wird seine Haltung zum Krieg immer wieder deutlich: Wenn Paul internierte russische Soldaten sieht und darüber sinniert, dass sie nur durch eine Unterschrift zu seinen Feinden geworden sind. Oder wenn die Kameraden befinden, dass die Oberhäupter der verfeindeten Nationen einen Zweikampf führen sollten, der entscheidet, wer den Krieg gewinnt.

Kann es gerechte Kriege geben? Die quälende Frage stellt sich uns immer wieder aufs Neue.

Gottgefällig kann Krieg nicht sein. Dennoch haben sich auch Christ:innen mit Gewalt gegen Diktaturen aufgelehnt. Dietrich Bonhoeffer, tiefgläubiger und engagierter Christ, hat sich im Zweiten Weltkrieg nach langem innerem Ringen am Attentat gegen Hitler beteiligt und dafür mit dem Leben bezahlt.

Unbelehrbarer Homo Sapiens

Das Buch verzichtet auf ein Happy End. Aus der Geschichte (und aus dem Sequel «Der Weg zurück») wissen wir, dass schon kurz nach dem Krieg neue Bewegungen ihr Land «wieder gross machen» wollten.

Und heute? Es scheint, wir brauchen solche Bücher mehr denn je.

 

Musstest du «Im Westen nichts Neues» auch in der Schule lesen? Welches ist dein Pflichtlektüre-Favorit? Schreibs gerne in die Kommentare.

 

Claudia Dahinden schreibt für RefLab eine Sommerserie über ihre Lieblingsbücher. Die Autorin (Saga «Die Uhrmacherin»), Musikerin und pastorale Mitarbeiterin lebt in Grenchen. Wenn sie nicht schreibt oder liest, konsumiert sie mit Hingabe nerdige Fernsehserien. 

Mit der Frage nach einem «gerechten Krieg» haben wir uns im RefLab auch schon beschäftigt, zum Beispiel Manuel Schmid im Blogbeitrag «Der Preis des Friedens».

Illustration: Rodja Galli

Alle Beiträge zu «Vintage-Sommerlektüre»

2 Gedanken zu „Vintage-Sommerlektüre (4): Erich Maria Remarque, «Im Westen nichts Neues»“

  1. Das war eines der Bücher, die wir als Maturlektüre hätten auslesen können, also nicht Pflicht sondern Wahl – ich hab‘s damals nicht gelesen und weiss noch nicht, ob ich es mir heute zutraue… mal schauen, ob es bei meiner Tochter im Regal steht 😉
    Ein Freund von uns ist schon seit kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine vor Ort daran Interessierten 1. Hilfe-Kurse für Kriegssituationen zu unterrichten – das Thema könnte mir daher zu nahe sein.

    Antworten

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