Mir wurden schon mit Anfang 30 Probepackungen mit Antifaltencremes aufgedrängt. Obwohl ich lieber Parfums mag. Ich fand das zudringlich.
Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Den Moment aber finde ich immer noch peinlich, wenn Drogerieverkäuferinnen mir lächelnd Anti-Aging-Proben zuschieben. Ich erkläre meistens, dass ich die Mittel nicht brauche. Der Rat einer Hautärztin aus Studententagen hat sich mir eingeprägt:
«Verwenden Sie eine normale Hautcreme! Sie gibt Ihrer Haut alles, was sie braucht. So können Sie nichts falsch machen.»
Meine Haut hat insofern nicht Schaden gelitten, als sie ein alterstypisches Faltenprofil zeigt. Allerdings verschiebt sich immer mehr, was als alterstypisch gilt.
Megathema unserer Zeit
Anti-Aging und Lebensverlängerung sind Megathemen unserer Zeit. Das lässt sich auch an populären Filmen und Serien ablesen, von «In Time» über «Altered Carbon» und «Ad Vitam» bis aktuell bei Netflix: «Ugly – Verlier nicht dein Gesicht».
In Drogerien hat sich in den zurückliegenden Jahren die Fläche mit Anti-Aging-Produkten multipliziert. Die Werbung zielt immer stärker auch auf Jüngere und Prävention. Vor einigen Monaten ging das TikTok-Phänomen der «Sephora-Kids« durch die Medien: Kinder, die Anti-Aging-Produkte ausprobieren und sich in Sozialen Medien darüber austauschen. Sephora ist eine französische Kosmetikkette, die gezielt Jugendliche und Kinder anspricht. Das Versprechen: Haut vorsorglich glätten, bevor sie überhaupt die Chance hat, Falten zu werfen.
Hautärzte warnen inzwischen vor Schädigungen kindlicher Haut durch Antifaltencremes und Gesichtsmasken.
Das Ende der Naivität
Wollen heute wirklich schon Kinder jünger aussehen? Oder eifern sie mit der Anwendung von Cremes und Gesichtsmasken Erwachsenen nach? Und wollen durch Anti-Aging-Prozeduren – welche Ironie – älter erscheinen? Oder gilt beides zugleich?
Eines kann man den Beauty-Kids nicht vorwerfen: Naivität.
Tatsächlich dürften in dreissig oder vierzig Jahren Aussehen und körperliche Verfassung weitaus stärker als Indiz für das Gelingen oder Scheitern von Biografien wahrgenommen werden.
Mit zunehmenden Erfolgen der Verjüngungsforschung, in die jährlich Milliardensummen fliessen, hört Alterung sukzessive auf, als natürlich, schicksalhaft oder – religiös gesprochen – als Folge des Sündenfalls aufgefasst zu werden.
Wenn Alterung nicht mehr als natürlicher Prozess wahrgenommen wird, rückt es in die Eigenverantwortung, wie gut oder schlecht sich jemand hält.
Damit erhöht sich der Druck auf jeden Einzelnen. Es eröffnen sich aber auch neue Möglichkeiten.
Die «Altersrevolution»
Was in den zurückliegenden Jahrzehnten beim Thema Geschlecht zu beobachten war, nämlich die Interpretation als «soziale Konstruktion» (Gender), lässt sich im Prinzip auch beim Alter durchspielen. Und hier wie dort lässt sich künstlich nachhelfen: von pharmazeutischen bis zu chirurgischen oder gentechnischen Mitteln.
Das Nachrichtenmagazin «Spiegel» widmet diese Woche seine Titelstory den jüngsten Fortschritten der Verjüngungsindustrie. Der Titel lautet verheissungsvoll: «Wie wir locker 100 werden». Wir befänden uns, heisst es, in einer «Altersrevolution».
Es gehe nicht um Monate verminderter Alterung, sondern um Jahrzehnte. Bald werde es Standard sein, hundert und mehr Jahre zu leben, und zwar fit und schön.
Der prominente Harvard-Genetiker David Sinclair kommt mit seiner radikalen Forderung zu Wort, Altern als Krankheit anzuerkennen; so könnten Ärzte Anti-Aging-Kuren kassenpflichtig verschreiben.
«Altern ist behandelbar», gibt sich Sinclair überzeugt.
Durch «Reprogramming» werden schon heute auf Zellebene Prozesse verlangsamt, beschleunigt oder angehalten. Mittels epigenetischer Daten lässt sich recht exakt das «biologische Alter» ermitteln («Horvath’s Clock»). Und damit die Lebenserwartung respektive der wahrscheinliche Todeszeitpunkt bei Beibehaltung einer gewissen Gesundheitsroutine.
Vom Alter genesen
Wenn es für das Altern und in Zukunft womöglich auch für das Sterben technische Lösungen gibt, erübrigen sich dann religiöse und spirituelle Strategien der Kontingenzbewältigung? Oder anders gefragt:
Sind Good News für Alte schlechte Nachrichten für die Religion?
In jedem Fall ist zu erwarten, dass die existenzielle Wucht abgefedert wird, mit der uns Bio-Alternde das Schicksal trifft.
Die Schriftstellerin und existenzialistische Philosophin Simone de Beauvoir hat auf den Punkt gebracht, was Normalalternde mit Plusminusfünfzig erwartet:
«Ich sehe meinen früheren Kopf, den eine Seuche befallen hat, von der ich nicht mehr genesen werde.»
Simone de Beauvoir war berühmt dafür, die Wahrheit nicht schön zu schminken.
Die jungen Alten und die alten Jungen
Wenn Körperalterung zu einer Option wird, kann man sich nicht mehr nicht dazu verhalten. Mit neuen Möglichkeiten tauchen aber auch neue Zwänge auf, frühestmöglich vorzusorgen.
Ich war beleidigt, als man mir mit 30 Antifaltenproben anbot. Es störte mich, auch nur für Momente das jugendliche Grundgefühl des Unbekümmertseins einzubüssen.
Anti-Aging-Mittel präventiv anzuwenden, kam mir gar nicht erst in den Sinn.
In dem Mass, in dem die Alterssorge in die Jugend und Kindheit vorrückt, verliert diese Phase, was sie lange auszeichnete: Unbekümmertheit ums Altern. Wenn heute bereits Kinder um Alterung bekümmert sind und unter Druck geraten, braucht man sich nicht zu wundern, dass sie zunehmend von Erwachsenenkrankheiten befallen werden, wie Stress oder Burnout.
Umso weiter das Alter sich nach vorne frisst, desto mehr überträgt sich die Verantwortung auf die Eltern, bereits pränatal für eine möglichst günstige Ausgangslage zu sorgen.
Alterung verliert auf Taubenfüssen seine Natürlichkeit für alle, auch für die Jungen.
Gleichzeitig nimmt Ageismus zu, Altersverachtung und -diskriminierung. Die «Altersrevolution» könnte ausserdem Einfallstor für (ungerechte) Abwertungen sein, ohne Rücksicht darauf, ob sich jemand Massnahmen überhaupt leisten kann.
Man braucht sich keine Illusionen machen: Die allermeisten Menschen werden aus dieser Revolution ausgeschlossen bleiben, in ärmeren Weltgegenden sowieso, aber auch bei uns.
Elixier des Lebens
Transhumanist:innen feiern die Überwindung des defizitären Menschlichen und die Ersetzung der Natur durch technisch-optimierte Formen. Man kann verleitet sein, darin ein überspanntes Gegenwartsphänomen zu sehen. Und womöglich eine Folge des Schwindens religiöser Werte.
Allerdings gab es schon in früheren Jahrhunderten Überlegungen, nachzubessern, was theologisch als «gefallene Natur» bezeichnet wird.
In den Rosenkreuzerschriften des 17. Jahrhunderts beispielsweise, die aus dem evangelisch-christlichen Umfeld erwachsen sind (Johann Valentin Andreaes «Chymische Hochzeit»),[1] finden sich Gedanken über Optimierungsmöglichkeiten mittels alchemistischer Operationen. Technische Eingriffe sollten vollenden, was ohnedies göttlicher Plan war. Ein Motiv der Alchemie ist das «Elixier des Lebens». Dabei geht es, wie beim Anti-Aging, um Verhinderung des Alterns und um Lebensverlängerung.
In mystischen Texten, zu denen die Rosenkreuzerschriften zählen, lässt sich dies auch als Metapher lesen: für spirituelles Streben nach einem höheren Sinn und nach Vervollkommnung.
Definiert man Jugend philosophisch als «Nähe zum Ursprung», rückt das Thema auch in die Nähe einer Option, die Religionen schon immer boten: Die Hoffnung nicht nur auf ein Leben nach dem Tod, sondern auch auf ein Leben vor dem Tod. Christlich gesprochen: das Erfülltsein im Hier und Jetzt durch Überwindung der Angst vor dem Tod – und damit auch der Angst vor dem Alter.
[1] 1616 erschien mit der «Chymischen Hochzeit» des Theologen und Sozialreformers Johann Valentin Andreae ein rosenkreuzerischer Schlüsseltext. Einige Jahre davor hatte sich Andreae in Genf aufgehalten und die reformierte Kirche der Calvinisten mit ihren klaren Regeln eines gottgefällign Lebens bei gleichzeitiger Aufgeschlossenheit für neue Entwicklungen kennengelernt. In späteren Schriften distanzierte sich Andreae von seinen Jugendschriften. An sein Denken knüpften u.a. Pietisten an.
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1 Gedanke zu „Verschwindet mit dem Alter auch die Jugend?“
die buddhanatur ist alterslos und jeden alters. es empfiehlt sich also, bereits während des lebens zu sterben. (2kor 5.14) der tod, der uns von zell an berührt und dann immer mehr bestimmt, unsere ursprüngliche natur verdeckt und damit die tiefste ursache des alterns ist, stirbt mit uns. der tod des todes und seine verwandlung, die überwindung jeder trennung, ermöglicht die wahrnehmung von allem in allem (1kor 15.28) und ist damit auch die einsicht, dass das leben mehr ist als raum und zeit: nichts nur an einem ort und zu einer zeit. alles immer überall. also auch nach dem tod. das ist die alternative zu technischen und künstlichen methoden der altersverhinderung und lebensverlängerung, die zudem nicht eine technische und künstliche atmosphäre und welt schafft. und kein kostpieliges leben: zufälligerweise sind heute gerade die krankenkassenprämien für 2025 publik gemacht worden. soweit die kirche zu ihrer ursprünglichsten wahrheit findet, kann sie ihren alterungs- und sterbeprozess verhindern und braucht keine aufgesetzten pr-massnahmen. im sinne einer creatio continua, der fortgesetzten schöpfung, die durch uns geschieht, deren letzte ursache aber nicht wir sind, sind grundsätzlich alle methoden möglich und unter umständen notwendig. es empfiehlt sich bloss, auch wirklich alle zu kennen, um frei – und nicht durch werbung verführt – entscheiden zu können. “wenn ihr nicht werdet wie die kinder” (mt 18.3) – darin scheint mir die beschriebene andere methode enthalten zu sein. das aber nicht neurotisch kindisch, sondern als erwachsenen menschen. das reich der himmel erscheint da als alternative zu einer negativ transhuman verunstalteten, aber doch als irdische existenz.