«…und das ist Segen»
Schon als Kind hatte ich mir eine gusseiserne
Teekanne gewünscht. Und nun habe ich nicht eine,
sondern zwei bekommen. Das ist mehr,
als ich mir gewünscht habe. Das ist Segen.
Und Rosa, die am Klavier aufblüht.
Die kleinen, konzentrierten Finger,
die nach Worten spielen, die sie, ein Winterkind,
zum ersten Mal hört: Le-gaaa-to. Piano. Forrrr-te!
Pianissimo. Zauber des Anfangs.
Helle Verzückung, glänzendes,
innwendig glühendes Glück!
Erster Schnee im Herzen.
Einen Brief zu schreiben – auch das ist Segen. In
Steinschrift, gut leserlich für eine kleine Menschin.
Für eine verletzte Leitwölfin, die eine Nische
braucht, einen sicheren Ort. Blumenkleber: nicht
nur auf die Postkarte, nein, auch auf den
Umschlag – beidseitig –, einen ganzen Strauss an
Blumenklebern.
Und dann zur Post rennen, damit die Blumen noch
am nächsten Morgen ankommen. Das ist Segen.
Segen im Bauch, im Herzen, im Ohr; auf dem
Magen liegend, über die Leber kriechend.
Segen wächst und bewegt und hält auf Trab.
Segen lässt das Herz hüpfen, macht froh – und
macht müde. Segen hält wach.
Segen ist Sorge. Segen macht sorgend.
Macht warmherzig, barmherzig.
Segen weicht auf, macht dünnhäutig,
verletzlich.
Und, oh Gott, dein Segen: Er tut weh. Manchmal
tut er so weh. Und ich weiss nicht,
ist dein Segen die Wunde oder die Wundsalbe?
Meine beiden Teekannen stecken die Schnäbel
zusammen. Es sieht aus, als seien sie miteinander
im Gespräch.
Heiterer Plauderton. Zwischendurch satte Seufzer.
Hie und da Gekicher. Wie von zwei aufgeregten
Schulmädchen.
So belausche ich die Teekannen beim
Teekränzchen und ein eigenwilliges Gebet
steigt in mir auf:
Lieber Gott, mit Dir eine Weile Teekanne sein.
Oh, das wäre schön. Mit Dir Teekanne sein.
Plaudern, Seufzen. Kichern.
Und in aller Ruhe warten, im Innern
Düfte entfalten. Duftend-dampfender Segen
ziehen lassen.
Amen
«… und das ist Segen» kann u.a. zu Lk 1,39-45 gelesen werden: Der Lobgesang der Maria. Jahreszeitlich passt es zu Mariä Empfängnis, also dem heutigen Tag.
Die Autorin und Theologin Beate Krethlow ist derzeit Vikarin am Berner Münster. Zuletzt erschien von ihr: «Brief an meinen Grossvater. Gedanken zum Toten- und Ewigkeitsonntag».
Foto von Rachel Claire: https://www.pexels.com/de-de/foto/tee-entwurf-design-kopie-raum-5531637/
4 Gedanken zu „«… und das ist Segen»“
wunderbar berührend!
Das freut mich, danke! ✨
In der Weihnachtszeit ist es ein besonderer Segen zu erkennen, dass das LICHT DER WELT keineswegs von der Sonne kommt. Von dort kommen nur elektromagnetische Strahlen. Erst die Umwandlung im Bewusstsein – eine geistige Mechanik – erlaubt uns die Unterscheidung von hell und dunkel und von bunten Farben.
Danke für den schönen Gedanken – in diesem Sinne wünsche ich eine gesegnete Lichterzeit!