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 Lesedauer: 10 Minuten

Mit Paulus Dankbarkeit üben: Self-Care-Tipps aus der Bibel

Heute ist World Mental Health Day. Anders als zum Beispiel im Fall eines gebrochenen Arms, sieht man einem Menschen eine psychische Erkrankung weniger auf den ersten Blick an. Man sieht keine Blessuren wie aufgeschürfte Knie oder Blutergüsse an den Armen und es fehlen Gehhilfen, eingegipste Körperteile, verbundene Hautstellen oder Pflaster.

Krankheit ist menschlich, Mensch sein, bedeutet Körperlichkeit und Körperlichkeit bedeutet, dass ein Körper auch krank sein kann. Aber eben nicht nur der Körper. Auch die Psyche. Und die braucht genauso liebevolle Zuwendung und Pflaster wie ein gebrochener Arm.

Die folgende Liste ist kein Allheilmittel und auch keine Generallösung. Vielleicht eher eine Erinnerung daran, dass wir instinktiv wissen, was uns guttut. Und dies nur durch äusserliche Faktoren vielleicht manchmal vergessen oder eben verlernt haben.

Bedürfnisse wahrnehmen könnte also ganz oben in dieser Liste stehen. Und dann nachlesen, was schon Menschen vor Hunderten von Jahren weitergegeben haben: was hilft, was heilt, was verbindet.

Self Care ist auch ein Thema des RefLab-Psychologiepodcasts «I Feel You» – hör rein! (Spotify/Apple Podcasts)

Mit Jesus achtsam in den Tag starten.

Matthäus 6, 34: Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen.

Jesus sagt das unmittelbar nach dem «Vater Unser» im Matthäus Evangelium. Ich weiss nicht, ob ihr diese Phasen kennt, unmittelbar, bevor man in den Urlaub fährt, mit noch so 3-17 Dingen auf der To-do-Liste, der Müll soll noch raus und die Kontaktlinsen müssen noch vom Optiker abgeholt werden.

Und dann wacht man vor dem Wecker auf und versucht sich noch mal umzudrehen, nur um festzustellen, dass der Kopf angeht und in Gedanken all die Dinge fünf- bis zehnmal durchspielt, die noch getan werden müssen. Irgendwann ist es dann plötzlich kurz vor Wecker und der Arm ist eingeschlafen und die Dinge sind natürlich nicht erledigt, aber der Kopf fühlt sich so an, als wäre er schon mindestens drei Stunden wach und hätte schon fünf Stunden Arbeit und Kopfschmerzen hinter sich. Ich vermute, das kennt Jesus nicht.

Überall anders sein, mit dem Kopf im Nebel, in der Urlaubsorganisation oder bei der Steuererklärung. Wenn ich feststelle, dass ich wieder nicht ganz da bin, fühlt sich das gar nicht mal so gut an.

Dann stelle ich mir meine Gedanken wie Häppchen auf einem Sushi-Band vor. Ich schaue ihnen zu, wie sie vorbeilaufen, eins nach dem anderen. Da ich Sushi gar nicht mal so gerne mag, kann ich mir sehr gut überlegen, welchen Gedanken ich mir schnappen und zu mir nehmen will oder welche ich einfach weiterziehen lasse.

Und wenn der Gedankennebel sich dann etwas verzogen hat, und die Sushi-Häppchen weniger werden, trinke ich erstmal einen Tee und mache eine Runde Yoga, um im Tag anzukommen, also so richtig.

Mit dem Psalmbeter die Gefühle wahrnehmen.

Psalm 6, 7.10: Ich bin so müde vom Seufzen; /ich schwemme mein Bett die ganze Nacht und netze mit meinen Tränen mein Lager. Gott hört mein Flehen; mein Gebet nimmt Gott an.

Gefühle sind nichts für schwache Nerven. Aber ausschalten können wir sie eben auch nicht. Und das ist auch gut so. Wusste schon der Psalmbeter im Alten Testament.

Wenn sie da sind, hüpfen sie auf dem Sofa rum und trommeln auf den Kochtöpfen und je länger sie keine Aufmerksamkeit bekommen, desto lauter werden sie. Irgendwann brüllen sie, werden aufmüpfig und treten dir so lange auf den Füssen rum, bis du gar nicht anders kannst als dich mit ihnen aufs Sofa zu setzen und zu fragen, worum es denn eigentlich gerade geht.

Denn darum geht es bei den Gefühlen: zu fragen, was eigentlich gerade los ist. Wenn wir uns mit ihnen hinsetzen und reden, ist schon viel gewonnen. Dann erzählen sie uns auch viel mehr, als wenn sie brüllend auf den Kochtöpfen trommeln. Und eine heisse Schokolade hilft meistens auch, wenn wir mit unliebsamen Gefühlen auf dem Sofa sitzen.

Irgendwann gehen sie dann auch wieder. Verkrümeln sich im Kleiderschrank oder stellen sich ins Abseits. Und wenn sie uns das nächste Mal überraschen, wissen wir immerhin schon, dass sie heisse Schokolade mögen.

Mit dem Prediger Salomo nicht allein sein.

Prediger 4, 9-10: So ist’s ja besser zu zweien als allein; denn sie haben guten Lohn für ihre Mühe. Fällt einer von ihnen, so hilft ihm sein Gesell auf. Weh dem, der allein ist, wenn er fällt! Dann ist kein anderer da, der ihm aufhilft. Auch, wenn zwei beieinanderliegen, wärmen sie sich; wie kann ein Einzelner warm werden?

Wir sind Menschen, wir leben in Beziehungen. Allein geht es nicht. Freunde sind lebensnotwendig. Oder zumindest ausreichend soziale Kontakte. Sonst vertrocknen wir wie alte Zitronen.

Wo hin mit all den Gefühlen, mit denen ich sonst jeden Abend allein vor dem Laptop sitze? Vielleicht ist jemand da draussen, dem es genauso geht. Wir können doch so nicht weitermachen, mit all der Wut und Trauer, der Schuld und Scham, die wir mit uns rumschleppen. Wir sind nicht gut genug, wir müssten das besser machen, wir sollten perfekt sein.

Uns selbst schlecht machen können wir, dafür brauchen wir niemanden. Wir brauchen die Trostkuchenbäcker und die Umarmungskünstler. Die Gästebetteinrichter und Wartezimmerbegleiter, die uns den Kopf geraderücken und die Zitronen auspressen, bevor sie vertrocknen. Oder den Tequila und das Salz holen.

Wie gut, wenn wir uns nicht alleine wieder aufrichten müssen, wie gut dass es Menschen gibt, die uns aufhelfen.

Mit Paulus Dankbarkeit üben.

1. Thessalonicher 5, 16-18: Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch.

Gut, fröhlich sein, allezeit, geschenkt, realistisch ist das nicht. Und beten ohne Unterlass wirkt auf mich auch eher unrealistisch und hilft auch nicht unbedingt immer. Aber dankbar sein in allen Dingen erscheint zumindest erstrebenswert.

Das menschliche Gehirn erinnert sich besser an die negativen Dinge, die uns geschehen. Um so wichtiger, dass wir aufmerksam sind für das Gute und Schöne in unserem Leben. Zum Beispiel für die 10 Minuten Ruhe am Morgen, mit dem Tee und der Katze auf dem Schoss. Oder die Freundin, die während des Urlaubs nach den Pflanzen schaut. Oder einfach für die Sonne, die dicken Socken, das Mittagessen, den Postboten, das Stück Sahnetorte, usw.

Es gibt so verdammt viele Gründe dankbar zu sein, wir müssen uns nur daran erinnern. Am besten regelmässig. Für weniger Schwarzmalerei und mehr «wie schön, dass …» (hier entsprechend ergänzen). Wollte Gott nämlich auch so für uns. Oder zumindest Paulus.

Mit Samuel den Perfektionismus verabschieden.

1. Samuel 16, 7: Denn Gott sieht es nicht so, wie ein Mensch es sieht: Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an.

Alternativ dazu, würde hier der Bibelvers mit dem Splitter und dem Auge und dem Balken stehen. Unser Blick ist nämlich meistens verstellt, bunt geschminkt, mit einer rosaroten Brille beschönigt oder dunkelgraubraun eingefärbt. Nicht nur mit anderen, auch, ganz besonders mit uns selbst. Mein Subjektivismus verklärt mich.

Ich nehme meine rosarote Brille ab, genauso wie meine Pechkleider. Und stelle fest: Ich werde wohl immer daran scheitern, die beste Version meiner selbst sein zu wollen. Stronger, better, faster, harder ist nichts für Menschen. Und das ist auch o.k.

Gnädig mit sich selbst sein ist nichts für Feiglinge. Heisst nämlich, dass ich mir auch angucke, was ich nicht hinbekomme. Und mich trotzdem o.k. finden soll. Sogar mehr als das. Ich müsste die Weitwinkelperspektive einnehmen, immer alles einschliessen, was zu mir gehört, wer ich bin, was ich schon gelernt habe, wie ich lebe und liebe. Quasi Gottes POV.

Manchmal gibt es Momente, in denen es mir gelingt, freundlich zu mir zu sein. Dann bin ich stolz auf mich. Aber meistens fällt es mir schwer, mein Herz anzusehen. Wie gut, wenn ich daran glauben darf, dass Gott es tut.

Mit den Psalmen auf die Wunder der Welt blicken.

Psalm 104, 2-5: Licht ist dein Kleid, das du anhast. Du breitest den Himmel aus wie ein Zelt; du baust deine Gemächer über den Wassern. Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen und kommst daher auf den Fittichen des Windes, der du machst Winde zu deinen Boten und Feuerflammen zu deinen Dienern; der du das Erdreich gegründet hast auf festen Boden, dass es nicht wankt immer und ewiglich.

Früher hat meine Mutter immer, wenn ich gerade ganz besonders unruhig und unglücklich war, gesagt, ich soll rausgehen und mich ausstinken. Gemeint war: Geh raus und tobe dich aus, mache irgendwas mit den Händen, kriech durch das Unterholz, baue eine Höhle, klettere auf Bäume. Beschäftige dich mit etwas anderem als dir selbst.

Als ich an einer Depression erkrankt bin, habe ich mich dazu gezwungen, mich jeden Morgen und jeden Abend ausstinken zu gehen. Eine kleine Runde raus, den Kopf auslüften oder wie es auf Instagram heisst: Stupid walk for my stupid mental health.

Manchmal bin ich im Wald auf Bäume geklettert oder habe mich einfach in die Höhle vom Waldkindergarten gesetzt. Dann habe ich den Blättern beim Fallen zugeschaut und beobachtet, wie ein Käfer über die Rinde eine toten Baumes geklettert ist.

Ich mache das nach wie vor, mich ausstinken. Mittlerweile mit Blick auf See und Berge. Einfach kurz durchatmen. Beobachten, was um mich herum geschieht, den Wind spüren, den Geruch von Erde und nassem Gras in der Nase, irgendwo bellt ein Hund. Dann breitet sich der Himmel über mir aus wie ein Zelt.

Mit Mose die eigene Kreativität entdecken.

Exodus 35, 31-33: und [er] hat ihn erfüllt mit dem Geist Gottes, dass er weise, verständig und geschickt sei zu jedem Werk, kunstreich zu arbeiten in Gold, Silber und Bronze, Edelsteine zu schneiden und einzusetzen, Holz zu schnitzen, um jede kunstreiche Arbeit zu vollbringen.

Auf dem Boden liegen allerlei bunte Papiere, Schere, Bänder, Zeitschriften, ein Klebestift, ein Tuschkasten, verschiedene Tuben Aquarellfarbe. Aus der Tube Aquamarin quillt ein Schwall Farbe auf die jungfräuliche Leinwand. Der Pinsel durchfährt die Farbe und zeichnet Linien.

Farben und Formen zu malen hat eine beruhigende Wirkung auf das Gehirn. Die Hände sind in Bewegung, etwas entsteht. Der Prozess des Erschaffens hat Göttliches an sich und ist trotzdem etwas Urmenschliches.

Die Welt entsteht durch Gottes Schöpfung. Sei es durch das Wort oder ganz töpferisch durch Ton und Erde. Und die Tasse auf dem Küchentisch entstand in der Nordstrander Töpferei. Und das Bild, das im Badezimmer hängt, entstand in einer Wohnung im Londoner West End.

Wenn unsere Gedanken, unsere Gefühle, immer nur in Geist und Leib bleiben, werden wir irgendwann verrückt. Wir dürfen uns ausdrücken, unsere Farbtuben und Gedanken auf Leinwände ausquetschen, unsere Wut in Holz schnitzen, unsere Angst in Schals stricken. Damit sich die Wut nicht aufstaut und die Angst sich nicht in unserem Kopf festsetzt. Wir schwitzen unsere Zweifel aus.

Wir verbacken unsere Liebe in Buttercremetorte und garnieren sie mit Himbeeren, damit sie ihren Weg in den Magen unserer Lieblingsmenschen findet. Alles in uns darf Ausdruck werden. Wie schön!

 

Alle Bibelstellen nach der Lutherbibel 2017.

Foto @ Unsplash: Rachel Strong

1 Gedanke zu „Mit Paulus Dankbarkeit üben: Self-Care-Tipps aus der Bibel“

  1. Danke für die Erinnerung und für die schöne, bildliche Formulierung: Gedanken weiterziehen lassen, Gefühle wahrnehmen und aushalten, mir selbst und anderen helfen lassen, dankbar sein in den kleinen Dingen, mit mir selbst gnädig sein, die Welt erleben, einfach mal kreativ sein,…und das, was mich stresst und unter Druck setzt, einfach mal sein lassen…

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