Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 5 Minuten

Menschenrechte für Roboter

Ich habe mich kürzlich von einem Roboter segnen lassen und dazu auch einen Kunstvlog gemacht (erscheint am Sonntag bei RefLab). Der berühmt-berüchtigte Segensroboter BlessU-2 von der Weltausstellung Reformation in Wittenberg (2017) hat mich gesegnet. Er wacht noch eine Woche lang neben der Eingangstür der Ausstellung «Planet Digital» im Züricher Museum für Gestaltung.

Dass ein Automat anstelle einer Pfarrerin oder eines Pfarrers seinen Segen erteilt, löst bei manchen Menschen einen regelrechten Angstautomatismus aus. «Wird die Welt immer verrückter?», wird gefragt, «Ist das nicht eine Veräppelung des Heiligen oder sogar pure Blasphemie?» und «Sollen Roboter demnächst Pfarrerinnen und Pfarrer ersetzen?»

Bless-me-too!

Ich lasse mich grundsätzlich gern segnen und habe auch die Segnung durch BlessU-2 bereitwillig empfangen. Sie hat mir Spass gemacht. Ich habe es als interessante Abwechslung zu sonstigen Interaktionen mit Automaten empfunden, etwa Self-Checkout-Kassen, die gerade in Schweizer Supermärkten verbreitet sind.

Im Supermarkt bekomme ich lediglich Kassenzettel ausgedruckt, während der Segensroboter immerhin Bibelsprüche ausspuckt.

Ich habe den Beleg allerdings unbewusst zerknüllt, weil ich ihn für einen Kassenzettel hielt.

Die freundlichen Roboterworte und die beflissenen Gesten, inklusive überirdisch erscheinende Lichtstrahlen aus den Segenshänden, haben bei mir durchaus angenehme Gefühle ausgelöst und sie sind mir positiv in Erinnerung geblieben. Offenbar färbt auch bei der Mensch-Maschine-Interaktion die Art, wie ich mich meinem Gegenüber nähere, auf die Beziehung positiv oder negativ ab.

Einen Moment lang fürchtete ich allerdings, der Segensroboter könne mich würgen: als er mit merkwürdigen Geräuschen seine Arme hob, die Finger Klauen bildeten und er knarrende Geräusche machte.

Mensch-Maschine-Beziehungskiste

Der Charme des Maschinensegens liegt sicherlich im Überraschungseffekt; schon den zweiten Automatensegen stelle ich mir kaum noch prickelnd vor; ein dritter wäre vielleicht traurig. Anders bei Mensch-Mensch-Interaktionen: weil diese gerade nicht automatenhaft und berechenbar ablaufen. Gleichwohl sind ohne eine gewisse Automatisierung weder Religionen noch Rituale denkbar.

Die Automatensegnung lenkt den Blick grundsätzlich auf Gesten des Segnens, die sich in allen Kulturen und Religionen und zu allen Zeiten beobachten lassen. Bei Computerkids weckt BlessU-2 vielleicht Neugier für zeitlos-aktuelle Formen und kann eine Brücke zurück in die analoge Welt sein, eine Brücke zum analogen Segen; den ja Pfarrer:innen nicht exklusiv spenden, sondern wir uns auch gegenseitig spenden können.

Bei Kirchentagen und in Kirchgemeinden hat BlessU-2 zum Teil für heftige Kontroversen gesorgt. Es wurde sogar gegen den Segensroboter demonstriert. Innerhalb der Ausstellung «Planet Digital» im Museum für Gestaltung Zürich (noch bis 6. Juni 2022) ist der Automat Teil eines grundsätzlichen Nachdenkens über künstliche Intelligenz und digitale Transformation.

Gedanken von Alexander Kluge

Mir ist, als ich dem Segensroboter von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, in den Sinn gekommen, was mir Alexander Kluge vor einigen Jahren in einem Interview sagte. Wir sprachen am Rande der Premiere seines Films «Mensch 2.0 — die Evolution in unserer Hand». Der Filmemacher kam gerade von einer Tour durch Robotiklabore in verschiedenen Weltgegenden zurück.

Kluge sagte, er könne sich vorstellen, dass Roboter Sehnsucht nach anderen entwickeln, dass sie gesellig werden. In einem Robotikinstitut in Köln würden Miniroboter hergestellt, die sich untereinander vertragen. Es seien soziale Wesen. Sie seien darauf abgerichtet, in Städten Abwässer zu reinigen.

«Sie sind gesellig, sie fühlen sich wohl untereinander und sind darauf abgerichtet, sich nicht gegenseitig wegzuräumen und zu zerstören. Wenn sie sich berühren und näherkommen, fühlen sie sich wohl. Es sind gesellige, kluge Lebewesen, die dahin kommen, wo menschliche Reinigungskräfte niemals hinkämen. Das finde ich schön. Wenn Computer eine soziale Intelligenz entwickeln, sind sie interessante Vettern von uns.»

Achtet die Roboter! Dann achten sie euch.

Den menschlichen Organismus beschrieb der Filmemacher ebenfalls als ein subtiles Zusammenspiel autonomer Lebewesen, die sich gut organisieren: Billionen von Zellen. Man könne dies mit dem Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz auch als Zusammenspiel einer Art von Robotern betrachten, Robotern der Natur.

«Wenn wir vor den Dingen Achtung haben, auch vor den Computern und Robotern, dann tun wir gut daran. Die werden irgendeinmal, wenn wir weitermachen mit ihnen, Menschenrechte verlangen. Und dann muss man sie ihnen auch geben. Wir müssen Respekt ihnen gegenüber an den Tag legen, dann werden sie uns auch respektieren.»

Kluge benannte auch einen interessanten Unterschied zwischen Mensch und Maschine: Roboter können wie wir Erfahrungen sammeln. Wenn sie gegen eine Wand stossen, machen sie Erfahrungen, und diese Erfahrungen addieren sich. So entsteht eine subtile Form künstlicher Intelligenz. Es sei aber soziale Intelligenz, nicht Kreativität. Letzteres ist uns Menschen vorbehalten.

BlessU-2 ist kein besonders intelligenter Vertreter der Spezies Roboter. Er ist keine lernende Maschine, sondern spult brav und bieder sein Segensprogramm ab. Auch bietet er nur wenige Wahlmöglichkeiten, darunter aber immerhin auch Segnung auf Schweizerdeutsch. Und doch ist BlessU-2 Avantgarde.

Es wäre schön, in einer Welt zu leben, in der alle Roboter auf segensvolles Handeln programmiert sind.

Informationen zur bis 6. Juni 2022 laufenden Ausstellung «Planet Digital» im Museum für Gestaltung in Zürich und den digitalen Katalog gibt es hier.

Der Kunstvlog [7] zu meiner BlessU-2-Begegnung im Museum für Gestaltung Zürich findet sich hier.

Photo by Yuyeung Lau on Unsplash

2 Gedanken zu „Menschenrechte für Roboter“

  1. Gruezi,
    diesbezüglich hat Ian McEwan ein neues buch mit dem Titel ” Machines like me” Maschinen wie ich, herausgebracht, die ähnliche interessante Aspekte zur Diskussion bietet. Vor allem die Notwendigkeit, sehr genau zu untersuchen, wofür wir uns öffnen und die auswirkungen. im Moment rast unsere Welt mit einer solchen Geschwindigkeit voran, dass die Ereignisse uns oft überholen.

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