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Live-Special: Kirche – was soll das denn sein?

Die christlichen Kirchen aller Konfessionen sind von einem massiven Bedeutungsverlust in unserer Gesellschaft betroffen. Die Frage drängt sich auf: Wie können wir Kirche sein und bleiben in einer Zeit, in der das Christentum seine Selbstverständlichkeit eingebüßt hat?

Manuel und Stephan setzen sich mit Versuchen auseinander, den «Markenkern» von Kirche zu bestimmen, und erzählen auch aus ihren persönlichen Erfahrungen. Sie spielen sich ihre jeweiligen drei Kriterien zu, die sie zur Bestimmung der Kirche formuliert haben – und versuchen eine Spur zu finden, auf der sich Kirche nicht selbst verliert in den sich verändernden Zeiten…

Diese Folge wurde in der Reformierten Kirche Nidau bei Biel aufgenommen. Wir danken den Verantwortlichen für ihre großartige Gastfreundschaft und die wunderbare Atmosphäre während der Veranstaltung!

4 Gedanken zu „Live-Special: Kirche – was soll das denn sein?“

  1. “Schluss mit dem Christentum! Das hat 2000 Jahre Zeit gehabt, die Welt zu erneuern. Und was ist geschehen? In seinem Namen sind Menschen gemartert und getötet worden! In seinem Namen ist eine Welt von Heuchelei aufgebaut worden! Schluss damit! Ein Neues muss kommen! Das Christentum ist tot! Das Christentum ist tot! …

    Gut! Mag sein! Es mag sein, dass das Christentum tot ist. Aber – Jesus Christus lebt!”

    Pfarrer Wilhelm Busch (1950, 1929 bis 1962 protestantischer Jugendpfarrer – Essen, Christus lebt! Erlebnisse und Kurzgeschichten, Bern: Christliches Verlagshaus)

    “Aus der Krise von heute wird … eine Kirche von morgen hervorgehen, die viel verloren hat. Sie wird kleiner werden, weithin ganz von vorne anfangen müssen. Sie wird viele der Bauten nicht mehr füllen können, die in der Hochkonjunktur geschaffen wurden. Sie wird mit der Zahl der Anhänger viele ihrer Privilegien in der Gesellschaft verlieren.

    Sie wird sich sehr viel stärker als Freiwilligkeitsgemeinschaft darstellen, die nur durch Entscheidung zugänglich wird … Aus einer verinnerlichten und vereinfachten Kirche wird eine große Kraft strömen. Denn die Menschen einer ganz und gar geplanten Welt werden unsagbar einsam sein. Sie werden, wenn ihnen Gott ganz entschwunden ist, ihre volle, schreckliche Armut erfahren …

    Aber ich bin auch ganz sicher darüber, was am Ende bleiben wird: nicht die Kirche des politischen Kultes, sondern die Kirche des Glaubens. Sie wird wohl nie mehr in dem Maß die gesellschaftsbeherrschende Kraft sein, wie sie es bis vor kurzem war. Aber sie wird von neuem blühen und den Menschen als Heimat sichtbar werden, die ihnen Leben gibt und Hoffnung über den Tod hinaus.”

    Prof. Dr. Joseph Ratzinger, 2005-2013 Papst Benedikt XVI.

    Ratzinger, J. (1969, Dezember 25). Die Zukunft der Kirche. Radioansprache im Hessischen Rundfunk. Zitiert nach: A. Garth, Untergehen oder Umkehren: Warum der christliche Glaube seine beste Zeit noch vor sich hat. Evangelische Verlagsanstalt, 2021, S. 28.

    (Michael Schalter, Meckenheim/Pfalz)

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  2. Hi, ihr,
    Was für ein riesen Thema.
    Ich glaube es gibt verschiedene Menschengruppen, die da irgendwie eine Rolle spielen. Die Jesusnachfolger, in verschiedenen Ausgangspunkten, die alles ausprobieren, weil sie von Jesus fasziniert sind. Wenns gut läuft, trotz aller Neigung zu Extremen auch lernbereit sind und aus Fehlern lernen und bescheidener weitermachen. Dann die “verwalter-leute”, die auf einen soliden Mittelweg schwören und sagen, darin befindet sich dee Kern und ist gut aufgehoben. Und es gibt auch die, die der Bibelvers “welche der Geist Gottes treibt, das sind Gottes Kinder” beschreibt. Also alle, die ohne bewusste Kirchen- oder Jesusbindung heraus irgendwie inspiriert werden und das Reich Gottes leben.
    Die 3 und wahrscheinlich noch ein paar andere mehr bilden wahrscheinlich zusammen die Kirche… Es ist kompliziert, eure Frage zu beantworrten… Aber wir brauchen die Rändern eh nicht unbedingt genau zu bestimmen. (das führt wieder zu einer ganz schwierigen Blickrichtung).

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  3. Über alles gesehen macht die Kirche einen guten Job, und ich möchte meine gute Beziehung zur Kirche auch nicht aufgeben oder verlieren. Was mir wirklich fehlt, ist das Puzzle Mystik. «Der Christ des 21. Jahrhunderts wird Mystiker sein – oder er wird nicht sein.» So hat es Karl Rahner ausgedrückt. Erstaunlich, Rahner war ein katholischer Theologe und gilt als einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts. Was hat er damit gemeint?

    Ich wandle mich vom passiven zum aktiven Christen und meine Bedürfnisse und Erwartungen haben sich geändert. Mit den Worten Willigis Jäger: Viele Menschen ahnen heute, dass Leben mehr ist als das, was uns die Ebene des Tagesbewusstseins zu bieten vermag. Sie ahnen, dass es Räume gibt, die mit Intellekt und Sinnen nicht erreichbar sind. Sie spüren, dass dieses ihr Leben mehr, gehaltvoller sein könnte. Sie sind unzufrieden. Unzufriedenheit aber ist ein Zeichen, dass Bedürfnisse in uns nicht erfüllt werden. Wenn der Mensch Bedürfnisse verdrängt, wird er krank. Was auf der psychischen Ebene gilt, gilt auch auf der spirituellen Ebene. Das Spirituelle gehört zum Wesen des Menschen.

    Willigis Jäger definiert drei Wege:
    • Die institutionelle Ebene:
    Der Weg über den Intellekt. Wir können uns Gedanken machen über Gott und die Welt. Gott wird gesehen als der Schöpfer und machtvolle Herrscher. Ihm gilt es zu gehorchen. Er entscheidet über Gut und Böse, an ihn wendet man sich im Gebet. Bei Wohlverhalten wird mit dem Himmel oder einer guten Reinkarnation belohnt. Bei schlechtem Verhalten wird mit Strafe oder sogar mit der Hölle gedroht. Diese Ebene kann aber auch inneren Halt, Orientierung, Zugehörigkeit und Gemeinschaft geben.
    • Die intellektuelle Ebene:
    Der Weg der Religion, d.h. der Weg des Kultes, des Ritus, der Zeremonie, der Sakramente und der Weg des Studiums der Heiligen Schriften. Theologie, Metaphysik oder Philosophie versuchen, dem Menschen eine Deutung des Daseins zu geben in diesem zeitlosen Universum zu geben. Sie können uns Wegweiser sein, zu einer Wahrheit, auf die Worte nur hinweisen können. Heilige Schriften, Rituale und Religionen sind nur «der Finger, der auf den Mond zeigt», aber nicht der Mond selbst. Der Mensch hat seinen Intellekt erhalten, um Religion zu verstehen. Dieses Verständnis bleibt allerdings Teil der Ichaktivität. Diese Ebene ist legitim, aber letztlich unbefriedigend. Sie deutet nicht unser Menschsein.
    • Die mystische Ebene:
    In ihr kommen die Egokräfte und die Ichaktivität zur Ruhe. Das Ich soll schweigen, damit das Auftauchen kann, was die Mystik das «wahre Wesen» nennt. Jesus nennt es Reich Gottes. «Das Reich Gottes ist in euch» sagt er. Wir besitzen als Menschen eine Tiefenstruktur, die unser wahres, zeitloses Wesen ist. Das ist die Ebene, die uns die eigentliche Deutung unseres Menschseins bringt. Sie führt uns zurück ins Hier und Jetzt, in diesen Augenblick, als der sich dieser Urgrund zeigt.

    In diesem Sinne freue ich mich auf eine weiterhin angenehme Zusammenarbeit… 🙂

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  4. Hallo Stefan & Manu
    Es ist klar, dass man in einer begrenzten Podcastfolge nur an der Oberfläche kratzen kann. Dennoch habt ihr zum Nachdenken angeregt. Was ich gar nicht sehe, ist Stefans Gedanke, dass überall dort wo Gutes geschieht auch Kirche ist. Es geschieht sehr viel Gutes, der Nächstenliebe entsprechendes von Menschen mit völlig anderen Weltanschauungen. Es wird zum Beispiel viel Gutes durch Gläubige anderer Religionen getan, ebenso durch Atheisten oder Agnostiker.
    Meine Partnerin arbeitet z. B. in einer Institution der Jugendhilfe. In ihrem Team ist sie die einzige, die sich als Christin versteht. Ihre KollegInnen sind überzeugte Atheisten, Agnostiker oder Personen mit einer indifferenten Haltung. Sie beschreibt diese aber als überaus engagiert, für die Jugendlichen und Jungen Erwachsenen da und bereits weit mehr zu tun als sie es von ihrem Pensum her müssten.
    Sie würden es befremdlich und seltsam finden als Teil von Kirche gesehen zu werden und einige würden es sich deutlich verbitten, weil sie kirchenkritisch sind.
    Mir erscheint diese Idee als eine christliche und romantisch verklärte Binnensicht, die darüber hinaus steht Menschen, die sich nie als Kirche verstehen würden zu vereinnahmen. Dieser Aspekt kam bei euch nicht vor.
    ChristInnen wie NichtchristInnen tun viel Gutes, aber genau so gibt es bei Beiden schrecklich Entgleisungen. Gute Taten allein sind für mich kein Kennzeichen von Kirche. Darauf haben die ChristInnen kein Monopol. Nur dort, wo Menschen sich auf Jesus Christus beziehen und aus dieser Motivation heraus Gemeinschaft bilden und Gutes Tun ist aus meiner Sicht von Kirche zu reden.
    Recht gebe ich Euch, dass eine Gemeinschaft die nur von Christus redet und ihr eigenes Zusammensein feiert, aber keinerlei Einsatz für Andere zeigt hoch problematisch ist. Es gibt dazu auch einige Aussagen im Neuen Testament. Die von euch zitierte Stelle im Jakobusbrief gehört dazu, sowie der Vers “an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen” u. a.

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