»Wetten dass…«
Wann haben Sie das letzte Mal eine Wette abgeschlossen?
Eine gute oder zumindest eine spannende Wette lebt ja von beidem: Einerseits von der Zuversicht, die Wette gewinnen zu können, andererseits von der Möglichkeit und damit vom Risiko, sie zu verlieren.
Was wir »Kirche« nennen, könnte eine solche Wette sein. Auf diesen Gedanken ist Stephan Jütte anlässlich unseres kürzlichen Gesprächs im Podcast »ausgeglaubt« gekommen. Manchmal überfallen einen ja die besten Ideen in angeregten Unterhaltungen…
Ich war von diesem Geistesblitz jedenfalls sofort begeistert: Kirche als Wette!
Selbstverpflichtung
Hintergrund dieses spontanen Einfalls war die Frage, was denn eigentlich »Kirche« bedeutet, und welcher Gemeinschaft oder Institution es zukommt, sich dieses Label anzuheften.
Denn selbstverständlich ist das ja nicht: Mit dem Begriff der Kirche ist immer auch ein Anspruch, eine Vorgabe, eine Berufung verbunden. Man mag das mit unterschiedlichen Worten und Metaphern beschreiben: Das Evangelium verkündigen, Jesus gemeinsam nachfolgen, Gottes Liebe verkörpern, die Sakramente recht verwalten, die apostolische Kirche fortführen, dem Wirken des Geistes Raum geben…
Klar ist aber: »Kirche« will etwas meinen. Und sie soll es sogar nach weitgehender Einschätzung einer säkularen Öffentlichkeit noch.
Wer das »Kirchesein« in Anspruch nimmt, stellt sich damit zugleich unter eine steile Selbstverpflichtung.
Hurenkinder
Dieser stolze Begriff wird jetzt allerdings eingeholt von der Tatsache, dass es innerhalb der Kirchen ausgesprochen »weltlich«, manchmal auch geradezu unterirdisch zu und her geht.
Die Missbrauchskandale, welche in den vergangenen Jahren die katholische Kirche erschüttert haben, führen hier den traurigen Reigen nur an. Grenzüberschreitungen, Manipulation, Moralismus, Missgunst, tiefe Verwerfungen und fragwürdiges politisches Taktieren sind auch unter Reformierten und Freikirchlern bekanntlich zur Genüge vorhanden.
Und das sind wohl nicht bloße Verfallserscheinungen, sondern eher Nebenwirkungen dessen, was sich seit jeher »Kirche« nennt. Schon Augustinus soll den markigen Satz geprägt haben:
»Die Kirche ist eine Hure – aber sie ist meine Mutter.«
Verharmlosungsgefahr
Eigentlich war mir dieses augustinische Statement immer sympathisch.
Es stutzt elitäres Gehabe und überstiegene Erwartungen zurecht und führt im besten Fall dazu, Kirche als Gemeinschaft zerbrochener Menschen zu verstehen, die auf Gottes Gnade verzweifelt angewiesen sind.
Zugleich birgt das Zitat natürlich die Gefahr der Verharmlosung oder sogar Vertuschung kirchlicher Verfehlungen – denn seiner Mutter verzeiht man schließlich alles.
Man will sie um jeden Preis schützen und vor Bloßstellungen bewahren.
Dann aber wird Kirche zur Gemeinschaft derer, die im Namen einer billigen Gnade Unrecht unter den Teppich kehren und mit zweierlei Maß messen: Was man »draußen« scharf verurteilt, wird »drinnen« stillschweigend hingenommen.
Gotteswirken
Eben darum sind die Versuche interessant, »Kirche« nicht von »unten«, im Blick auf ihre empirische Erscheinung mit allen Unvollkommenheiten und Skandalen zu verstehen, sondern gewissermaßen von »oben«, von einer theologischen Vision her.
Kirche, könnte man etwa sagen, ist das Ereignis der Gegenwart Gottes unter uns Menschen.
Kirche ist da, wo Gottes Liebe Raum gewinnt und mitten im Leben Hände und Füße bekommt.
Kirche ist da, wo das Evangelium von Jesus Christus heilsam, befreiend, ermächtigend Gestalt annimmt. Sie ist dann kein Attribut einer religiösen Einrichtung, kein selbstverständliches Etikett für christliche Gemeinschaften, sondern die Bezeichnung des Wirken Gottes in, unter und durch uns Menschen.
Eistänzer
Die Selbstbeschreibung einer Gruppe, einer Konfession oder Zusammenkunft als »Kirche« steht aber darum immer auf dünnem Eis.
Im Grunde kann von Kirche nur im Sinne einer Hoffnung gesprochen werden: Wir hoffen, dass das, was wir hier gemeinsam tun – und mehr noch: was wir gemeinsam sind – sich als »Kirche« im Sinne Gottes erweisen wird.
Wir hoffen, dass wir den Titel zu Recht tragen.
Und eben hier kommt die Idee von »Kirche« als Wette ins Spiel. Das Gelingen einer für alle Beteiligten fairen Wette hat man nicht einfach in der Hand. Man weiß noch nicht, wie es herauskommen wird – aber man bringt doch genügend Erfolgserwartung mit, um das Wagnis einzugehen.
Erfolgsaussichten
Diese Erfolgsaussichten gründen aber nicht in einem kollektiven Optimismus, schon »das Zeug zu haben«, um der Bezeichnung »Kirche« alle Ehre zu machen. Sie sind nicht das Ergebnis moralischer Selbstüberschätzung, sondern vielmehr Konsequenz der Vertrauens in die Zusage Gottes.
Jener Gott, der in Jesus Christus unter uns Menschen gekommen ist und der seinen Nachfolger*innen seine Gegenwart verspricht bis zum Ende der Zeit – jener Gott verbürgt die Hoffnung, dass Kirche sich auch heute noch ereignen kann.
Dass die Wirklichkeit der Liebe Gottes durch menschliche Peinlichkeiten, Zerbrochenheiten und Ungerechtigkeiten hindurchbricht und etwas hervorbringt, was den Namen »Kirchen« verdient.
Wetten?
4 Gedanken zu „Kirche – die Wette gilt!“
Ganz Manuel… gut und differenziert formuliert. Ja man kann sich nicht nur Kirche nennen. Damit ist auach ein Anspruch verbunden. Finde ich auch. Dem gerecht zu werden, ist wie eine Wette eingehen…bei dem der Wettpartner gewisse Garantien verheisst, aber auch ganz viel den Menschen überlässt…
Danke fürs ermutigende Feedback!
Also einerseits soll Kirche da sein “wo Gottes Liebe Raum gewinnt und mitten im Leben Hände und Füße bekommt.” Was für ein Gesülze! Dann wäre Kirche beim gemeinnützigen Engagement kirchlicher UND privater Vereine. Aber wenn es um Privilegien geht, insbesondere um Geld (Kirchensteuern jur. Pers., staatliche Kostenbeiträge), dann hört das grossteils mit Steuergeldern von Unternehmen und Konfessionsfreien finanzierte Gesülze abruppt auf, denn dann ist Kirche einzig und allein die öffentlich-rechtliche Körperschaft. Das zeigt doch, dass es der körperschaftlichen Kirche letztlich eben nicht um Gemeinnütigkeitsengagement als Solches geht, sondern um deren Kontrolle.
Naja, das ist jetzt aber doch etwas kurzschlüssig argumentiert. Natürlich gibt es »Kirche« auch als öffentlich-rechtliche Körperschaft, und natürlich benötigt die Kirche wie alle anderen Institutionen und Organisationen auch Finanzen. Das heutige Finanzierungssystem über Kirchensteuern ist historisch gewachsen, auch wenn es sicher nicht alternativlos und auch nicht mehr unbedingt selbstverständlich ist. Dass es der Kirche deswegen nicht um Gemeinnützigkeit, sondern um Kontrolle oder Eigennutz geht, leitet sich daraus aber überhaupt nicht zwingend ab.