Bei meinen Kommiliton:innen an der Freien Universität Berlin, im Kolloquium der Geschichte der Kunst Afrikas, erntete ich Stirnrunzeln, wenn ich das Thema Kirche aufbrachte. Von Missionierung ganz zu schweigen. Der christliche Kontext gilt vielen postkolonialen Forscher:innen als kontaminiert. Mit ihm in Zusammenhang gebracht zu werden, wird als schädlich für die Credibility in der Forschercommunity angesehen.
Der Begriff «Mission» ist regelrecht zu einem Synonym für Gewaltgeschichte, zwanghaftes Überstülpen fremder Kultur und europäisches Überlegenheitsdenken geworden, das in rassistischen Stereotypen wurzelt. Gleichzeitig aber sind Missionsarchive gerade für kritische postkoloniale Forschung die wohl wertvollste Quelle.
Koloniale Verflechtung
«Das Wort Mission ist bei vielen unglaublich negativ behaftet», sagt auch Magdalena Zimmermann. Die stellvertretende Direktorin von Mission 21 stellte kürzlich bei einer Podiumsdiskussion zum Thema «Christliche Mission und Sklaverei» in Zürich selbst die Frage in den Raum:
«Wieso halten wir trotz dieses Erbes weiter am Begriff Mission fest?»
Für viele sei Mission nicht zu unterscheiden von Kolonialismus. «Die Geschichte aber ist komplexer. Sie ist nicht identisch, aber es gibt eine gemeinsame Verflechtungsgeschichte, die ihrerseits wechselvoll war», betonte die Pfarrerin.
«Mission hat mit Sicherheit von den Kolonialmächten profitiert. Viele Missionare haben sich zwar kritisch oder herablassend über die Vertreter der Kolonialbehörden geäussert, deren Lebenswandel sie als dekadent und unsittlich ansahen. Gleichzeitig waren sie auf das Wohlwollen der Behörden angewiesen.»
Als beispielsweise die britische Kolonialverwaltung von Basler Missionaren verlangt hat, in englischer Sprache zu unterrichten, widersetzten sich diese erfolgreich. Sie blieben bei lokalen Sprachen. Alle sollten die Bibel in ihrer eigenen Sprache verstehen können.
Kulturelle Entwurzelung
Europäische Prägung ist jedoch weitgehend unreflektiert mit christlichem Glauben verbunden worden:
«Publikationen der Missionare zeugen davon, dass sie das Andere und Fremde abwerteten und ihre eigene kulturelle Prägung als allgemeingültige universelle Norm voraussetzten. Glaubenswechsel bedeutete kultureller Wechsel, was bei Einheimischen zu Entwurzelung und Entfremdung führen konnte», sagt die stellvertretende Mission-21-Direktorin.
Wieso also hält man in Basel trotz dieses Erbes am Missionsbegriff fest? Zimmermanns Antwort:
«Wir nennen uns auch wegen dieser Geschichte so, der wir nicht entfliehen können und der wir uns stellen wollen.»
Seit den 1970er-Jahren ist das Missionsarchiv in Basel für Forscher:innen geöffnet. Eine Fülle von Studien über Kolonialismus, Imperialismus, Sklaverei und Eurozentrismus ist seither entstanden. «Es ist wichtig zu begreifen, dass Kolonialismus nicht nur Menschen in ehemaligen Kolonien im globalen Süden betrifft», betont Zimmermann:
«Kolonialismus und Imperialismus haben uns bis tief in unser Denken hinein geprägt. Das müssen wir uns bewusst machen, wenn wir weiterkommen wollen.»
Shared Heritage
Die stellvertretende Leiterin von Mission 21 beruft sich auf Debjani Bhattacharyya, die erste Zürcher Geschichtsprofessorin aus dem globalen Süden. Bhattacharyya plädiert für einen Perspektivenwechsel. In einem Gespräch mit der NZZ sagte die 1980 in Indien geborene Historikerin kürzlich:
«Eure Vergangenheit ist genauso kolonial wie meine.»
Der Historiker Frank Schubert von der Universität Zürich, der mit auf dem Podium sass, ist einer von drei Autoren des Berichts «Die Beteiligung der Stadt Zürich sowie der Züricherinnen und Zürcher an Sklaverei und Sklavenhandel vom 17. bis ins 19. Jahrhundert». Die Studie wurde 2020 von der Stadt Zürich in Auftrag gegeben und viel diskutiert. Schubert strich heraus, dass christliche Mission Teil einer «kolonialen Zivilisierungsmission» gewesen sei. Allerdings mit eigener Agenda.
Was gegenwärtige Aktivitäten im Feld der Entwicklungskooperation anlangt, egal ob von staatlicher oder religiöser Seite, haben den Afrikahistoriker einige Jahre in Uganda skeptisch gestimmt:
«Man muss sich klar machen: Es ist ein Geschäft. Mir ist da manchmal zu viel Selbstüberschätzung im Spiel, was die eigene Rolle und Bedeutung anlangt.»
Zimmermann hielt dagegen, dass gerade die Langfristigkeit kirchlicher Projekte («Mit einigen Partnerkirchen sind wir beinahe 200 Jahre im Gespräch.») Wissen um Bedürfnisse und Vertrauen wachsen liessen. Überwiegend werde sehr produktiv zusammengearbeitet.
Ein besseres Sensorium für Machtstrukturen entwickeln, eigene Privilegien reflektieren und bedingungslos alle Menschen unterstützen, unabhängig von Religion, Ethnie und Gender, hebt Zimmermann als Prioritäten für weitere Kooperation hervor.
Keine Elendspornografie
Eine Herausforderung, der sich Mission 21 gegenwärtig verstärkt stellt, ist die Entwicklung einer nicht-diskriminierenden Bildsprache in der Spendenwerbung. Mit stereotypen Armutsbildern lassen sich nach wie vor die besseren Spendenerfolge erzielen. Genau solche Elendsbilder aber sollen konsequent vermieden werden. «Vor zehn Jahren hat uns das Thema der Bilder noch nicht beschäftigt», sagte Zimmermann.
Womit sich westliche Hilfsorganisationen weiter schwertun, ist, Entscheidungsgewalt mit Partnern zu teilen.
Dies räumt Zimmermann auch für Mission 21 ein. Sie fügte hinzu, dass aber gerade die Dezentralisierung ein wesentlicher Schritt «auf dem Weg zur Dekolonisierung der Mission» sei.
Unter Dekolonisierung werden Prozesse der Loslösung von einer kolonialen Herrschaft verstanden. Eine Phase der Dekolonisierung in Afrika setzte beispielsweise Mitte des 20. Jahrhunderts ein. Damals erlangte eine Reihe von Staaten politische Unabhängigkeit; ökonomische Abhängigkeiten freilich blieben häufig bestehen. Im übertragenen Sinn meint Dekolonierung die Verabschiedung kolonialer Mindsets. Man spricht auch von «Decolonizing the Mind».
Christliche Mission hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten immer mehr demjenigen angeglichen, was früher Entwicklungshilfe genannt wurde und heute Entwicklungskooperation heisst. Statt um ‹heilige Experimente› geht es auch christlichen Missionsorganisationen inzwischen primär um Capacity-Building-Massnahmen.
Auffallend an der Zürcher Veranstaltung, die leider keine Publikumsbeteiligung vorsah, war, dass über Missionierung weitgehend losgelöst von christlicher Religion diskutiert wurde.
Hält man zwar am Begriff Mission fest, nicht aber an dessen Inhalt? Wie viel christliches Sendungsbewusstsein ist übriggeblieben? Oder gilt schon die Verbreitung des Evangeliums als Akt kultureller Überheblichkeit?
Leere Formel?
Ganz offensichtlich ist die Idee, anderen ‹etwas schenken› oder sie auch nur mit seiner Anwesenheit ‹beglücken› zu sollen, stark verblasst. Gleichzeitig aber scheint eine gewisse missionarische Attitüde im Umgang mit Ländern des globalen Südens in säkularem Gewand fortzubestehen. Etwa auch in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit.
Die Schere zwischen armen und reichen Ländern öffnet sich unterdessen immer weiter. Über das Ausmass der Weltunordnung informiert ein Wandtext in der Zürcher Kolonialismus-Ausstellung «Blinde Flecken», in deren Kontext die Podiumsdiskussion stattfand:
«Der Kolonialismus schuf eine zweigeteilte Weltwirtschaft, in der die einen Länder die Rohstoffe lieferten und andere diese verarbeiteten. Dadurch sind die Einkommensunterschiede zwischen den Ländern enorm gestiegen. Vor 2oo Jahren waren die reichsten Länder etwa dreimal so reich wie die ärmsten, heute ist der Faktor auf über 100 gestiegen.
Die Ausstellung «Blinde Flecken. Zürich und der Kolonialismus» ist noch bis 15. Juli im Stadthaus Zürich zu sehen. Am 25. Mai luden die Züricher Landeskirche und das Institut für interreligiösen Dialog ZIID im Rahmen dieser Ausstellung zu einer Podiumsdiskussion zum Thema «Christliche Mission und Sklaverei» mit Magdalena Zimmermann (Mission 21) und Frank Schubert (Universität Zürich) ins Kulturhaus Helferei in Zürich ein. Moderator war Felix Reich («Reformiert Zürich»).
Hier findet sich ein Blogbeitrag von mir mit dem Titel «Missionierung! Nein, danke» von 2020.
Hier geht es zur erhellenden Webinar-Reihe von Mission 21: «Mission – Colonialism Revisited»
Ein Beitrag zum Streit um die Benin-Bronzen findet sich hier: «Zurückgeben! Aber an wen?»
Foto: Foto von Donald Teel auf Unsplash
2 Gedanken zu „Ist Mission dekolonisierbar?“
Vielen Dank! An dieser Diskussion hätte ich gern teilgenommen. Und hätte gefragt, warum die großen Diskussionen über die Mission der 1970er Jahre gar nicht erinnert werden. Abkehr vom Missionsparadigma, Antikolonialismus, Antirassismus hat es damals schon gegeben. Vieles, was heute diskutiert wird, erscheint wie eine Wiederkehr, aber mit neuer Dringlichkeit. Wie ist das zu erklären.
Lieber Johann, danke, dass du an die Diskussionen der 1970er erinnerst. Vielleicht müsste man tatsächlich deutlicher herausstreichen, dass wesentliche Fragen schon damals behandelt wurden. Es ist sicher falsch zu denken, wir erfinden das gerade neu. Die Sensibilität für soziale Themen war ohnedies damals grösser.
Zugleich haben wir heute sehr viel genauere Kenntnis über die Zeit von Kolonialismus und Imperialismus. Global History eröffnet neue Perspektiven und in partizipatorischen Projekten wird die Global-North-Perspektive ergänzt durch Sichtweisen des Global South.
Da hat sich glaube ich schon etwas getan – aber gleichzeitig zu wenig verbessert; die kolonialen Strukturen sind doch häufig von neokolonialen abgelöst worden. Vielleicht kommen wir auch deswegen nicht wirklich voran – und es entsteht das Gefühl, wir stünden erst am Anfang.