Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 6 Minuten

Liebe Aschera, Astarte, liebe «Himmelskönigin»

Ihr seid drei Göttinnen des Alten Orients, die in der Bibel genannt werden. Und einen Brief an euch zu richten, bringt mich ein wenig ins Dilemma, wenn ich das gleich so offen sagen darf.

Denn einerseits bin ich fasziniert von euch. Wir wissen aus archäologischen Funden viel darüber, wie man sich euch vorgestellt hat (wobei die Zuordnung von Göttin und Name nicht immer klar ist [1]): Aschera, du bist eine Mutter- oder Fruchtbarkeitsgöttin und wirst oft in Form eines Baumes dargestellt. Astarte, dein kriegerischer Zorn ist voller jugendlicher Leidenschaft. Von dir, «Himmelskönigin», ist am wenigsten Konkretes bekannt. Du warst aber überaus populär, eine Volks- und Familiengöttin, der Menschen nicht nur im Tempel, sondern auch bei sich zu Hause Opfer gebracht haben.

Andererseits (um zum Dilemma zurückzukommen) glaube ich ja, dass man sich euch so personal vorgestellt hat, um einzelne Facetten einer einzigen grossen Gottheit zu beschreiben und zu benennen. Die Idee eines Götterpantheons ist in unseren Breitengraden passé. So hänge auch ich dem Monotheismus an, der sich im Judentum durchgesetzt und das Christentum geprägt hat.

Wenn ich also glaube, dass ihr vor allem Ideen und Deutungskonstrukte wart, ergibt ein Brief an euch wenig Sinn.

Zu fragen, wie es wohl für euch war, als die Propheten eure Verehrung als Blasphemie verurteilten. Wie ihr es fandet, im Laufe der Jahrhunderte vom Volk der Jüd:innen immer mehr ignoriert zu werden und in die Inexistenz zu sinken. Ob ihr gejubelt habt, als dennoch immer wieder Inschriften mit euren Namen in Verbindung mit dem Gott JHWH (Jahwe) entdeckt wurden – Aschera, von dir und JHWH sogar als Paar.

Viel mehr als nur die «Grosse Mutter»

Welche Worte soll ich stattdessen an euch richten? Mein Brief soll ausdrücken, dass ich diejenigen Seiten Gottes, die ihr damals im Raum des sogenannten «Nahen Ostens» verkörpert habt, beachtenswert finde. Diese Vielfalt an Charakterzügen und Geschichten, die oft auch die vorherrschenden Genderrollen überschritten haben.

Doch auch bei euch wurden vorwiegend die traditionell «weiblich» konnotierten Seiten verehrt und gefeiert, die im Juden- und später im Christentum stillgeschwiegen wurden. Erst die feministische Theologie richtete wieder den Fokus auf den Gott, der auch in Mutterbildern geschildert wird. Diese wahrzunehmen, ist aber eine Gratwanderung zwischen Stereotypen und Würdigung: Wenn wir heute von den «weiblichen» Seiten Gottes hören, sind immer noch vor allem Mutterschaft, Wärme, Trost gemeint.

Bei euch waren diese Unterteilungen noch nicht so klar. Ihr habt Leben gespendet und Krieg geführt, habt ernährt und geherrscht, wart im Hofstaat wie auch in der Natur zu Hause, wart eifersüchtig und habt verziehen.

Das Weiblich-Göttliche in der Bibel

Liebe Göttinnen, ich finde es faszinierend, dass ihr überhaupt noch vorkommt in der Bibel. Ich meine damit nicht unbedingt die polemischen Stellen wie zum Beispiel, als Salomo dich, Astarte, zu verehren begann, statt einzig JHWH zu dienen. Oder den in der Bibel erhaltenen Befehl ans Volk Israel, keine «Ascheren», keine heiligen Bäume neben dem Altar JHWHs zu pflanzen.

(Über die Konkurrenz zwischen dem jüdischen Gott JHWH und anderen Gottheiten schrieb meine Kollegin Johanna Di Blasi bereits im Brief an Sara.)

Was ich meine, ist vielmehr, wie die Beschreibung JHWHs sich an Metaphern anlehnt, die viel älter sind als das Judentum: Dass die Bibel Gott in einer Selbstbeschreibung als Baum nennt, als üppigen Wacholder, an dem Frucht zu finden ist. Oder als Mutter, als Gebärende, als Frau, die ihre Kinder an ihre Brust zieht. Der Gottesname «El Shaddai» bezeichnet genau dies. Offenbar wurde das Göttliche immer auch schon als lebensspendend, nährend wahrgenommen.

Während ältere Kulturen diese Vorstellung in Gestalt einer Muttergöttin verehrten, sind es in der Bibel die Urmütter Eva, Sara, Rebekka, Rahel und Lea: Mütter aller Menschen bzw. von wichtigen Völkern und Stämmen.

Umliegende Völker stellten sich auch die Erde und das Meer als Gottheiten vor, auch das ist subtil in den biblischen Texten erhalten geblieben: Indem etwa in der ersten Schöpfungsgeschichte die Erde aktiv «junges Grün» wachsen lässt, anstatt dass Gott als Gärtner Bäume und Kräuter pflanzt. Eine Bilddarstellung aus dem dritten Jahrtausend vor Christus zeigt, dass diese Vorstellung nicht aus dem Nichts kam, sondern dass Erd- und Vegetationsgöttinnen populär waren.

Oder die biblischen Heldinnen, die euch als Inbegriff von markanten Frauenfiguren nachempfunden sind: Jaël etwa, die dem Kriegsherrn Sisera einen Zeltpflock in die Schläfe schlägt. Auf barocken Gemälden schwingt sie den Hammer ähnlich wie du, Astarte, es auf dreitausend Jahre älteren Stempelsiegeln tust.

Ist das nicht faszinierend?

Wäre eine Göttin nahbarer als ein Gott?

Liebe Astarte, Aschera und Himmelskönigin, wenn ich Bilder von euch betrachte, von altorientalischen Vegetations-, Mutter-, Tier-, Kriegs- oder Astralgöttinnen, macht das fast mehr mit mir, als wenn ich Bilder des Mannes Jesus Christus oder des «Vatergottes» sehe. Dass ihr eine Faszination auf mich ausübt, hat auch damit zu tun, dass ich mich mit euch stärker identifizieren kann als mit der vorwiegend männlich dargestellten Gottheit, die das Christentum lange kolportiert hat.

Sicher, da ist auch der Reiz des Exotischen. Ich kenne euch noch nicht so lange und weiss nicht ausreichend über die kulturellen Zusammenhänge des Alten Orients und der Entstehung der biblischen Texte Bescheid. Das ist eine so vielfältige Welt aus archäologischen Funden, uralten Mythen, aus Profanem und Poesie!

Und dann ist da für mich als visuellen Menschen auch die Schönheit der Artefakte, auf denen ihr zu sehen seid, der Stempelsiegel und Statuetten.

«Imago Dei»

«Du sollst dir kein Bild machen», heisst es in den Zehn Geboten. Und doch haben die Menschen immer wieder Bilder gesucht, um Gottheiten fassbarer zu machen. Bilder haben die Sehnsucht gestillt, sich Gott näher zu fühlen. Doch Bilder haben auch ihre Grenzen: Sie können nie alle Facetten abbilden. Deswegen brauchte es euch auch alle, gab es so viele von euch: Inanna, Anath, Ischtar, Schapasch oder Nikkal. Weibliche Gottheiten, die in der Bibel nicht mehr erwähnt sind, aber von denen andere Epen und Mythen aus biblischer und vor-biblischer Zeit erzählen.

Ihr Göttinnen wart Stereotypen mit ausgeprägten Charakteren oder Naturgottheiten mit festem Zuständigkeitsbereich. Als JHWH sich euch einverleibte, wurde er grösser, mächtiger, umfassender – aber auch unnahbarer. Nicht umsonst hat dieser Gott sich entschieden – so glaube ich als Christin –, sich als Mensch zu zeigen, um diese Nähe trotzdem herzustellen. Jesus Christus ist das ultimative «imago dei», das Abbild Gottes. Wobei, wenn ihr mir noch eine Randbemerkung erlaubt, das lateinische Wort «imago» ja feminin ist.

Deswegen seid ihr überflüssig geworden. Und trotzdem kann man euch noch antreffen: In archäologischen Museen und Kunstgalerien, in der Mythologie antiker Völker – und sogar in der Bibel.

Wir sehen uns.

Herzlich,

Evelyne

 

[1] Teilweise besassen ähnlich charakterisierte Gottheiten in verschiedenen Völkern/Kulturen unterschiedliche Namen, manchmal änderte sich ein Name oder eine Schreibweise auch im Laufe der Zeit. Auch die Zuordnung von ikonografischen Funden (Abbildungen, Statuetten) und schriftlich festgehaltenen Göttinnen-Namen ist schwierig. Die heutige Forschung geht deswegen primär von Typen von Gottheiten aus, z. B. Muttergöttin, Kriegsgöttin, Astralgöttin etc., und erst sekundär von Namen. Beim wissenschaftlichen Bibellexikon Wibilex gibt es einen ausführlichen Artikel zu den Göttinnen der alttestamentlichen Zeit und Umgebung.

In dieser Serie schreiben Fabienne Iff, Johanna Di Blasi und Evelyne Baumberger Briefe an Frauen aus der Bibel. Die Briefe sind inspiriert von feministischer Exegese und von der afroamerikanischen Bibelauslegungs-Praxis des «womanist midrash»/«sanctified imagination». 

Illustration von Rodja Galli

Alle Beiträge zu «Frauen der Bibel»

2 Gedanken zu „Liebe Aschera, Astarte, liebe «Himmelskönigin»“

  1. Was die stärkere Identifikation mit weiblichen Gottesbildern angeht: Könntet ihr darüber auch mal was schreiben? (Hatte Evelyne nicht dazu auch mal ein Video gemacht? Ich erinnere mich gerade nicht mehr so genau.)
    Ich merke, dass ich in der Hinsicht irgendwie doch noch sehr evangelikal geprägt bin und zögere, z.B. weibliche Pronomen für Gott zu benutzen. Da, wo ich mich dem aussetze, z.B. beim Lesen der Bibel in Gerechter Sprache oder dem neuen “Women’s Lectionary for the Whole Church” von Wilda Gafney, beobachte ich nebenher meine eigene innere Reaktion und überlege, was sie über mich aussagt. Zum Beispiel benutzt Dr. Gafney in den übersetzten Psalmentexten konsequent weibliche Pronomen für Gott, und ich merke, dass es sich sehr ungewohnt anfühlt, z.B. zu lesen “SIE hat mich mit starker Hand befreit”. Offensichtlich hat das auch mit den Stereotypen zu tun, von denen Evelyne hier schreibt. Ein “weiblicheres” Gottesbild mit Trost und Mütterlichkeit zu verbinden, ist okay, aber Stärke fühlt sich dann irgendwie doch wieder “männlich” an?! Ich finde es einfach interessant, da meine eigenen inneren Hemmungen wahrzunehmen und mich zu fragen, wo sie herkommen – gerade weil mich als kinderfreie Single-Frau die Gleichsetzung von “Frausein” und “Mütterlichkeit” eigentlich in jedem anderen Kontext nervt…

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    • Liebe Eowyn, danke für den Kommentar! So spannend! Ja, du hast eine gute Erinnerung, zu den weiblichen Pronomen hab ich mal was gemacht: Link zum Video. Das “Women’s Lectionary” kenne ich noch nicht, danke für den Tipp!
      Ich finde mich in deinen Fragen und Überlegungen sehr wieder. Ich glaube, da sind jahrtausende alte Rollenzuweisungen im Spiel, die mit biologischen Gegebenheiten zu tun haben. Immer wieder mal werden sie flexibler angegangen – aber es bleiben bisher meistens Ausnahmen… Dazu kommen die neuen Familienbilder aus der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts, die den Bewegungsraum von Frauen nochmal stark eingeschränkt haben. Wir bleiben dran.
      Gott entzieht sich diesen Zuweisungen und alle Pronomen und Vergleiche sind letztendlich Bilder – und damit haben wir Menschen gerade in unserem althergebrachten binären Denken Mühe… Ich finde es spannend, es weiter zu probieren. Alles Liebe dir! Evelyne

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