Dein digitales Lagerfeuer
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Die Corrida des Lebens

Cowgirl-Stiefel im Wüstensand, eine zierliche Matadorin und schroffe Felsen in sengender Sonne: Vom ersten Moment an zieht einen die schweizerisch-spanischen Künstlerin, Musikerin und Regisseurin Jacqueline «Jackie» Brutsche in den Bann. Sie ist bei der Koproduktion mit dem SRF zugleich Regisseurin und Schauspielerin.

Die aus Zürich stammende Künstlerin hat sich als Musikerin mit ihrer Band The Jackets und The Sex Organs und als spielerisch-provokative Modedesignerin einen internationalen Namen gemacht.

Aufarbeitung eines Familientraumas

Was wir in «Las Toreras» sehen, ist Brutsches eigene Geschichte: die Aufarbeitung eines schweren Familientraumas und zugleich einer unüberwindlich scheinenden kulturellen Kluft.

Dokumentarische Passagen, Gespräche mit dem Vater, einem Zürcher Psychoanalytiker, sowie mit Verwandten in der Schweiz und in Spanien wechseln ab mit fiktiven, traumartigen Szenen eines imaginierten Stier- oder Monsterkampfes in karger spanischer Landschaft.

Die beschwiegene Wunde in der Familie ist der Suizid der Mutter. Diese nahm sich das Leben, als Jackie Brutsche zehn Jahre alt war.

Gegen Schatten kämpfen

Die Kunstfigur der Stierkämpferin begleitet die Künstlerin seit ihrer Kindheit. In dem abendfüllenden Film «Las Toreras» stellt sie sich in der Haltung der Matadorin den Schatten der Familienbiografie und der eigenen Seele: selbstbewusst, spielerisch, auf eine elegante Art trotzig und stellenweise sogar komisch.

Die Figur der Stierkämpferin hat der hinterbliebenen Tochter als Quelle der Kraft und Inspiration gedient, erfährt man zu Beginn des Films. Es seien aber «zu viele Geheimnisse» gewesen, zu viel Dunkelheit, Schweigen, Nichtbegreifen. Die junge Kämpferin merkt, dass die Vergangenheit gegen sie arbeitet – und macht sich auf den Weg nach Spanien und die Suche nach der unbekannten Mutter vor der Zeit ihrer Geburt.

Die Matadorin beobachtet ihre noch kindliche Mutter, wie diese in einem weissen Kleid durch eine sommerliche Strasse in ihrem Heimatdorf tänzelt. Und sie folgt ihr unbemerkt, als diese, nunmehr erwachsen, das Elternhaus verlässt, auf dem Weg in ein eigenes Leben.

Fiktion und Dokumentation greifen flirrend ineinander

Die Regisseurin führt mit Onkeln und Tanten ausführliche Gespräche. Ihr Schweizer Ehemann habe seine Frau nicht unterstützt, lautet eine Version der Verwandten. Ihre Mutter sei, bevor sie auswanderte, immer «ein fröhliches Mädchen» gewesen.

Tagebuchnotizen und Zeichnungen zeigen aber einen depressiven Menschen. In Fotografien berühren traurige Augen. «Allein, allein für immer» steht im Tagebuch der Mutter.

Mit der Eheschliessung verband die junge Frau die Hoffnung auf «Rettung».

In Tagebüchern wendet sich die verzweifelte Mutter an Gott. In Psychosephasen nimmt sie sich selbst als gottähnlich und Pantokrator wahr. Auf eine glückliche Phase folgen unzählige Klinikaufenthalte, Zusammenbrüche, Selbstvorwürfe.

Widersprüche und Lücken der Erinnerung

Jackie Brutsche hört sich Erinnerungen der Verwandten an, ohne zu werten oder zu interpretieren. Allerdings konfrontiert sie diese mit einander widersprechenden Erzählvarianten.

Allmählich bröckelt die heile Fassade. Ein despotischer Grossvater kommt zum Vorschein, der versucht hat, den Willen seiner Kinder zu brechen. Bereits in den spanischen Tagebüchern finden sich Todesgedanken ihrer Mutter, die nicht der einzige Suizidfall der Familie ist.

Beim Betrachten des Films wird man Zeuge einer Dynamik im Feld der Familie. Zuvor Unsagbares, Unsägliches, wird im Verlauf des Prozesses erzählbar.

«Las Toreras» ist eine Liebeserklärung an die tote Mutter und an den Vater, der bei der Vorführung des preisgekrönten Films die Hand seiner Tochter hielt.

«Las Toreras» ist kein religiöser Film, aber ein Werk mit religiösen Berührungs- und theologischen Bezugspunkten. Das Anerkennen und Betrachten der Wunden ist der Ausgangspunkt. Die Möglichkeit zu heilen und sogar frei und erlöst zu werden, wird angedeutet.

Transformation der Trauer

Eine wichtige Frage bei der Beurteilung durch die Filmpreis-Jury ist laut dem Jurypräsidenten und Kirchenrat Andrea Marco Bianca, «Was macht ein Film mit einem?». Bei «Las Toreras» seien in der Jury Tränen geflossen; die Juryentscheidung fiel einstimmig.

Die Jurorin Sophia Rubischung erklärte gestern bei der Siegerehrung in Zürich, die gekonnte Verbindung verschiedener Erzählstile und das Oszillieren zwischen theatralischer Heldinnenreise und Dokumentation habe die Jury überzeugt.

In der Jury-Begründung ist zu lesen:

«Die Künstlerin Jacqueline Brutsche bringt Licht in ein dunkles Kapitel ihrer eigenen Familiengeschichte. Dabei entfaltet sich eine Transformation von Trauer und Schuldzuweisung in Verständnis und Versöhnung».

Die Künstlerin sagte, sie habe «einen positiven Zugang in der Kunst» zur eigenen Geschichte gesucht. Ihr Entschluss schon seit der Kindheit sei:

«Ich lasse mir mein Leben nicht vermiesen. Ich lasse mir von diesem Unglück mein Leben nicht überschatten».

Homepage von «Las Toreras»

Zum Trailer

«Las Toreras» kommt Mitte November in die Kinos.

Filmpreis der Kirchen beim ZFF

Informationen auf der Homepage des Filmpreises.

Weiteres auf der Website der Reformierten Landeskirche Kanton Zürich.

Die Jury

Ein aktueller RefLab-Beitrag zum Thema Suizid im Podcast «Draussen mit Claussen» findet sich hier.

 

Foto: www.lastoreras.ch/Zürich Film Festival

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