Christliche Weltverantwortung
Die Kirchen verhielten sich zunehmend wie eine linksgrüne NGO und stellten damit ihren volkskirchlichen Charakter und ihren öffentlich-rechtlichen Status in Frage. Zudem würde andersdenkenden Christinnen und Christen der rechte Glaube abgesprochen. So lautet der massive Vorwurf von rechtsbürgerlicher Seite im Zusammenhang des kirchlichen Engagements für die Konzernverantwortungsinitiative. Sie repräsentierten damit nicht mehr die Breite ihrer Mitglieder und missbrauchten ihre privilegierte Stellung. Dieser Kritik kann mit theologischen Argumenten und einer Klärung des Status kirchenleitender Stellungnahmen begegnet werden. Deshalb unterstütze ich die Konzernverantwortungsinitiative halte es für wichtig und ein starkes Zeichen, dass sich die reformierten und katholischen Kirchen, sowie die Freikirchen für die Anliegen der Initiative ausgesprochen haben. Es geht hier nicht um «rein politische» Fragen, sondern um Anliegen, die den christlichen Glauben in ihrem Kern betreffen.
Schutz der Schwächsten
Als reformierte Kirche sind wir zuerst und vor allem dem Evangelium verpflichtet. Es verpflichtet uns zum Einsatz für die schwächsten Glieder – in unserer Gesellschaft und weltweit – und es verpflichtet uns zur Bewahrung der Schöpfung.
Ein Ausdruck der christlichen Weltverantwortung ist die Arbeit der kirchlichen Hilfswerke und ihre langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen in Ländern des Südens im Dienst der Schwächsten.
Diese Erfahrungen haben dazu beigetragen, dass die Kirchen sich aktiv an der Suche nach griffigen Massnahmen zur Einhaltung von Menschenrechten und zum Schutz der Umwelt beteiligt haben, um realen Missständen entgegenzuwirken. Mit welchen juristischen und politischen Mitteln dies geschehen kann, ist eine Frage politischer Klugheit und nicht eine Frage des rechten Glaubens. Als Teil der Zivilgesellschaft dürfen sich auch die Kirchen zu Fragen politischer Klugheit äussern – vor allem wenn sie überzeugt sind, dass das geistliche Anliegen in einer der vorliegenden Alternativen deutlich stärker zum Ausdruck kommt.
Eine persönliche Entscheidung
Kirchenleitende Stellungnahmen haben nach reformiertem Verständnis nicht den Charakter einer Entscheidung, sondern sind ein sorgfältig abgewogener, theologisch begründeter und darum gewichtiger Diskussionsbeitrag – nicht mehr und nicht weniger. Solange nicht der status confessionis ausgerufen und eine Frage zur Bekenntnisfrage gemacht wird, kann jeder und jede guten Gewissens zu einer anderen persönlichen Entscheidung kommen, ohne dass die Gemeinschaft in Frage gestellt würde.
Es trifft deshalb schlicht nicht zu, dass den Gegnerinnen und Gegnern der Konzernverantwortungsinitiative der Glaube abgesprochen wird!
Allerdings – und darauf kommt es mir bei diesem Beitrag an – sollten wir die rechtsbürgerliche Kritik nicht einfach empört zurückweisen. Ich wünsche mir in meiner Kirche einen Grundkonsens, dass es eben so wichtig ist, im Gespräch zu bleiben, wie auf der «richtigen» Seite zu stehen. Dem anderen zuhören ist so wichtig, wie ihn überzeugen zu können. Wir sollten einander bis zum Beweis des Gegenteils gute Absichten unterstellen und zuerst fragen, warum wir so gesehen werden, bevor wir uns rechtfertigen.
Die rechtsbürgerliche Kritik
Ich habe die kirchlichen Äusserungen und Stellungnahmen im Umfeld politischer Abstimmungen nicht ausgewertet, aber vermutlich würde eine Auswertung tatsächlich ergeben, dass zumindest auf reformierter Seite die Schnittmenge mit linken und grünen Parteien und progressiven Organisationen deutlich grösser ist als mit rechtsbürgerlichen Parteien und konservativen Organisationen – in Fragen der Migration, des Sozialstaats, der Ökologie und in den letzten Jahren auch der gesellschaftlichen Liberalisierung. Das geschah aus guten biblischen Gründen und hat viel mit dem konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung zu tun, der seit den 1980er Jahren die christlichen Kirchen prägt. Aber gerade weil sich hier eine Schnittmenge ergibt, ist der Eindruck von rechtsbürgerlicher Seite nachvollziehbar. Umso wichtiger ist es, das Gespräch nicht abbrechen zu lassen und die Argumente respektvoll anzuhören.
Wenn wir als Reformierte betonen, dass das Evangelium für alle Bereiche des Lebens relevant ist, dann können wir nicht unpolitisch und auch nicht politisch neutral sein, aber aus unseren Stellungnahmen muss der Geist des Evangeliums sprechen.
Mut zur Profilierung
Damit meine ich einerseits den Mut zu profilierten Positionsbezügen, aber auch die Bereitschaft zuzuhören und dem Andersdenkenden mit Respekt und Offenheit zu begegnen. Wenn ein Teil des politischen Spektrums den Eindruck hat, im kirchlichen Diskurs nicht mehr gehört und ernstgenommen zu werden, dann ist das ein Problem – unabhängig davon, ob das objektiv zutrifft.
Das bedeutet nicht, dass die Kirchen auf klare und pointierte Stellungnahmen verzichten sollten. Aber wir müssen dabei noch klarer unterscheiden zwischen geistlichem Anliegen und politischer Abwägung. Wir müssen noch aktiver das Gespräch suchen mit allen Parteien des politischen Spektrums.
Als Volkskirchen haben wir – trotz aller berechtigten Kritik an einer Milieuverengung – immer noch Kontakt zu unterschiedlichsten Milieus der Gesellschaft. Das kann bei Kasualbesuchen auch belastend sein, wenn man spürt, dass beiderseits Klischees und Vorurteile die Begegnung erschweren und es gar nicht so einfach ist, eine gemeinsame Sprache zu finden, die eine echte Begegnung ermöglicht. Wenn es aber gelingt, ist es eine Riesenchance, denn wo sonst kommt es noch in diesem Masse zur Begegnung unterschiedlicher Milieus und kann ein Beitrag zum gemeinsamen Nachdenken über das gute Leben in unserer Gesellschaft geleistet werden? Gerade Pfarrerinnen und Pfarrer, sollten dabei zu Mittlerinnen zwischen den verschiedenen Milieus werden. Dazu müssen sie zuerst einmal ihre eigene Milieuprägung reflektieren.
Wie ein solches respektvolles und milieuübergreifendes Gespräch gelingen kann, dafür habe ich auch keine Patentrezepte. Aber wir sollten es anstreben.
Und vielleicht gelingt es uns vermehrt, Orte und Gelegenheiten dafür zu schaffen, dass ein solches Gespräch möglich ist. Als Kirchen müssen wir exemplarisch nach Wegen suchen, wie das geht: profiliert das Eigene vertreten UND dialogfähig bleiben.
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3 Gedanken zu „Dialogfähig bleiben“
Ausgezeichnet, lieber Bernd, du sprichst mir aus dem Herzen! Karin Spiess
Berufs-Christen und Erwerbs-Beter – identisch mit Pfarrern und Pfarrerinnen – präsentieren defacto anderes Bibelverständnis als der ZEITGEIST, welcher (an der professionellen Theologie vorbei) gelegentlich auch an koppelt an den Bergpredigt Satz “Ich sage euch wahrlich: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.”
Praktischer Ratgeber. Seeehr gut. Herzlichen Dank.
Weiter glauben
Weiter denken
Weiter geben
(R)evolution.
🙂