Als kleines Mädchen wollte ich Prinzessin werden. Wie viele Kinder bin ich in der Welt der Märchen aufgewachsen. Damals war es Dornröschen von Disney, heute wäre es vermutlich «Frozen». Eine andere Welt, in die man eintauchen konnte, und in der vieles möglich und zauberhaft war.
Das «Reich Gottes» oder «Königreich der Himmel», von dem Jesus in der Bibel ständig spricht: Ist das etwas Ähnliches? Eine andere Welt, in die man eintaucht?
Von der Monarchie zur Demokratie
Nun entstammt der Begriff «Reich Gottes» aber nicht einem Märchen, sondern aus einem ganz bestimmten historischen und politischen Kontext. Das «Unser Vater»-Gebet entstand in einer Zeit und Region, in der Kaiser und Könige herrschten.
Das Bild des «Königreiches» war also für die Menschen damals verständlich.
Ein König hatte die Macht über ein Land, das ihm «gehörte». Er konnte Schwerpunkte setzen, Gesetze bestimmen und das Leben der Menschen prägen. Ein guter König sorgte für Ordnung, Sicherheit und Wohlstand.
In der Schweiz und in Deutschland leben wir zum Glück in einer Demokratie. Deswegen wirkt der Begriff «Königreich» heute fremd, zudem ist der Begriff «Reich» historisch belastet. (Um diese Assoziationen geht’s im Text von Janna Horstmann zu dieser Zeile des Unser Vaters.)
«Zeit Gottes» statt «Reich Gottes»
Gerhard Ebeling, ein Theologe des 20. Jahrhunderts, hat «Reich Gottes» mit «Zeit Gottes» übersetzt. Diese Idee finde ich gut, weil sie die Fremdheit auflöst:
Es geht nicht um ein geografisches Reich oder ein politisches Konstrukt, sondern um eine besondere Zeit.
Begriffe wie «Ära» oder «Epoche» kommen in den Sinn, im Neuen Testament wird auch der Begriff «Äon» verwendet. Sie stehen für eine spezifische Zeit mit einer besonderen Atmosphäre und prägenden Ereignissen.
Die «Zeit Gottes» ist eine Zeit, die davon geprägt ist, was Gott sich für die Welt wünscht. So hat es Jesus erklärt. Und im Gegensatz zu anderen Zeiten, die vergänglich sind, ist diese Zeit ewig.
Ein Wunsch für die Zukunft und die Gegenwart
Gerade in politischen Zeiten, die sich wenig nach Himmel anfühlen, kann es deshalb wohltuend sein, zu beten, dass die Zeit Gottes anbricht.
Das wird im «Unser Vater» gebetet: Dass die «Zeit Gottes» bald Realität wird.
Paradox – denn Jesus hat auch gesagt, diese Zeit sei bereits da.
Aber noch nicht in ihrer ganzen Fülle. Das Reich Gottes, das Himmelreich schimmert überall durch. (Video und Blogpost dazu hier.)
Es wächst wie eine Pflanze; Jesus hat in Gleichnissen von einem Senfkorn gesprochen, das zu einem grossen Baum wird. Oder von einer Portion Sauerteig, die eine grosse Schüssel Teig zum Aufgehen bringt.
Was jetzt bloss ein Schimmer ist, wird immer stärker, bis es eines Tages so hell ist, dass alle es sehen, und alles anstrahlt.
«Die Liebe ist das Wesen der Zeit Gottes»
Jesus hat viel über diesen Schimmer des Himmels gesprochen. Oft hat er Geschichten erzählt, um die besondere Atmosphäre des Reiches Gottes zu beschreiben.
Gerhard Ebeling sagte in einer Predigt dazu: «Die Liebe ist das Wesen der Zeit Gottes.»
Diese göttliche Liebe prägt die Atmosphäre, den Stil und die Ereignisse dieser Zeit.
Überall, wo sich Menschen jetzt schon an dieser Liebe ausrichten, ist die Zeit Gottes bereits da.
Das Gesicht in die Sonne halten
«Dein Reich komme» ist also auf der einen Seite ein Gebet, dass diese Liebe noch mehr Raum in uns und in der Welt bekommt. Ich halte mein Gesicht in die Sonne, lasse mich wärmen von diesem Licht Gottes.
Auf der anderen Seite ist es auch ein Entscheid, Teil dieser neuen Zeit zu sein. Das Licht in die Welt hinaus zu reflektieren, es aktiv in die Welt hinauszutragen.
Was verstehst du unter dem «Reich Gottes»? Macht diese Idee für dich Sinn? Schreib deine Gedanken gerne in die Kommentare!
Das bekannteste christliche Gebet: «Unser Vater» oder «Vaterunser». In dieser Staffel von «Unter freiem Himmel» gehen wir es Zeile für Zeile durch: Was steht da genau, was sind unterschiedliche Interpretationen und was bedeutet es für uns, heute? Am 26. November erscheint der nächste Blogpost in dieser Reihe, parallel zur Podcastfolge und zum Video, zur nächsten Zeile des Gebets: «Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden».
In der dazugehörigen Folge des Podcasts «Unter freiem Himmel» kannst du die jeweilige Zeile des Gebets mit einem poetischen Text von Janna Horstmann noch einmal anders auf dich wirken lassen (Link zum Podcast ganz oben, Meditation am Ende der Folge).
1 Gedanke zu „«Dein Reich komme» (Unser Vater, Teil 3)“
Unser Reich ist im vergänglichen Leben angesiedelt, wir streben nach Macht, Geld und Sex. Neid und Eifersucht, Gier und Habsucht sind unsere Begleiter und führen zu Hass und Gewalt. Ich bete um Erfolg, aber subito, und bin enttäuscht wenn nichts passiert. Ist Gottesreich ein Trostpflaster, als ein zusätzliches Feature in dieser ungerechten Welt? Wenn das so wäre dann könnte ich hier abbrechen. «Dein Reich» im Vaterunser ist eine Verheissung nach Unvergänglichkeit, nach ewigem Leben, gebaut auf Liebe und Gerechtigkeit. Nur wir Menschen können «Dein Reich» verwirklichen, da steigt niemand aus dem Himmel auf Erden, da können wir lange warten…:-)
Ich bleibe bei David Steindl-Rast, er hat mein Herz berührt:
«Dein Reich» und was damit gemeint ist, können wir wohl nur dann recht verstehen, wenn wir die geschichtliche Lage beachten, in der dieses Gebet entstanden ist. Jesus und seine Jünger waren Juden, gewalttätig unterdrückt und ausgebeutet von der römischen Besatzungsmacht.
«Dein Reich» auf Erden gewaltfrei zu verwirklichen, das war die grosse Leidenschaft Jesu. Dafür lebte er und dafür musste er sterben. Da stand Gottes Reich gegen Römer Reich. Politische Machthaber spüren so etwas sofort. Sie erkannten die Konkurrenz und schlugen zu. Für unpolitische Nächstenliebe ist noch nie jemand ans Kreuz geschlagen worden. Je aufrichtiger ich dein Reich erbete, umso tatkräftiger muss ich auch bereit sein, dafür einzutreten – auch politisch. Gib du mir Mut dazu und nimm mir die Angst vor dem Folgen. Amen.
«Dein Reich» ist „nicht von dieser Welt“ – eben nicht von der Art der Weltreiche. Sondern es ist das von jedem Menschenherzen ersehnte Friedensreich. In der Natur steht es uns als dein Welthaushalt schon vor Augen. In der Gesellschaft muss es als Gotteshaushalt erst noch verwirklicht werden durch das freie Ja der Liebe. Denn du zwingst uns deine Ordnung nicht auf. Du bist ja Vater, nicht Gewaltherrscher. Und doch wirst du leider immer wieder «am höchsten Thron» einer Machtpyramide dargestellt. Genau als Gegenpol zur Machtpyramide hat Jesus ja dein Reich verstanden: nicht auf Eroberung gegründet, sondern auf Umdenken; nicht auf Angstmache gestützt, sondern auf gegenseitiges Vertrauen; nicht durch Gewalt verwirklicht, sondern gewaltfrei. Nicht von dieser Welt, aber mitten in ihr. Amen.
«Dein Reich komme» – das ersehnen wir. Und wir wissen auch, dass letztlich nur DU diese Sehnsucht erfüllen kannst. Und doch dürfen wir dein Reich nicht völlig ohne unser Zutun als dein Geschenk erwarten. Was aber ist unsererseits notwendig, damit dein Reich sich unter uns ereignen kann? Was kann ich in meinem winzigen Umkreis dazu beitragen? Mein Einflussbereich reicht allerdings weiter, als mir oft bewusst ist. Alles hängt ja mit allem zusammen! Und jeder Anstoss setzt sich grenzenlos fort. Sooft wir einander Gutes tun aus dem Bewusstsein, dass wir für einander da sind, setzen wir ein unaufhaltbares Ja der Liebe in Bewegung. Sooft wir einander gegenseitige Achtung erweisen, springt ein Fünkchen vom Glanz deines Reiches über, das weiter und weiter leuchtet. So beizutragen zum Kommen deines Reiches, dazu schenke mir Kraft und Entschlossenheit. Amen.
Der Weg führt vom passiven zum aktiven Christen. GOTT ist absolute LIEBE und Gerechtigkeit wie sie David Steindl-Rast immer wieder anspricht. Immer mehr entscheidet das Herz. Mit dem Herzen muss ich «Farbe bekennen» und Entscheidungen treffen, die auch zu entsprechenden Konsequenzen führen (könnten).
«Gott ist Liebe. Wer in der Liebe lebt, lebt in Gott und Gott lebt in ihm/ihr.» (1. Johannes 4,16) hat volle Gültigkeit. Das Reich Gottes ist absolute Liebe. Punkt.
Gegen Hass und Gewalt gibt es nur ein Gegenmittel: Liebe. Ein praktischer Tipp: Wunderbar führt uns Erich Fromm durch die verschiedenen Entwicklungsstufen der Liebe in „Die Kunst des Liebens“.