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David Lynch: «Der Negativität den Abschiedskuss geben»

Der US-Kultregisseur David Lynch («Twin Peaks», «Lost Highway», «Wild at Heart») öffnete in seinen Filmen Türen zu mysteriösen Welten. Vor fünfzehn Jahren begegnete ich ihm im norddeutschen Harz-Städtchen Goslar. Es war, als ob eine der mysteriösen Figuren aus seiner Filmwelt in die Realität getreten wäre.

Anlass war die Entgegennahme eines renommierten Kunstpreises durch den Regisseur: den Goslarer Kaiserring, den er 2010 erhielt.

Mystery Man

Was viele nicht wissen: Lynch war auch bildender Künstler. Kritiker nannten ihn den letzten Surrealisten.

Die Atmosphäre in dem mit Journalisten dicht gefüllten Raum war knisternd. Alle schienen nervös. Mit seiner gelösten Art entspannte der Filmemacher die Lage aber schnell. Das bis oben zugeknöpfte dunkle Hemd gab ihm etwas Priesterhaftes, die wilde Tolle zähmte er mit Gel.

Lynch-Aficionados übertreffen einander darin, Rätsel zu lösen, beispielsweise die Frage, ob die beiden Parallelerzählungen in «Lost Highway» tatsächlich ein schlüssiges Ganzes ergeben.

«Wie könnte man die Zeit bremsen?»

Als echter Kultregisseur wurde Lynch auf Schritt und Tritt – selbst in Rauchpausen – von Anhängern belagert. Doch auch gestandene Presseleute offenbarten in seiner Gegenwart ungewöhnliche Züge. Sie stellten ihm Fragen wie:

«Glauben Sie, dass die Misere der Geburt ein Leben lang anhält?»

Oder «Wie könnte man die immer schneller vergehende Zeit bremsen?»

Lynch nahm solche Fragen und die Fragesteller ernst und liess sich mit der Antwort Zeit. Er verband Nachenklichkeit mit Selbstironie. Er fesselte seine Zuhörer durch Aufrichtigkeit. Und er hatte, statt der in seiner Zunft verbreiteten narzisstischen Star-Allüren, eine geradezu gütige Ausstrahlung.

Transzendentale Meditation gegen Ängste

Es dauerte nicht lange und er lenkte die Aufmerksamkeit auf sein Lebenssthema: »Transzendentale Meditation» (TM). Er folgte hier dem indischen Guru Maharishi Mahesh Yogi, dachte die TM aber eigenständig weiter (siehe: David Lynch Foundation). Der Regisseur empfahl TM als Mittel, «um Ängste, Depressionen und Ärger zu überwinden». Er sagte:

«Du kannst der Negativität den Abschiedskuss geben.»

Während Lynch sprach, blitzte – im Kontrast zur beruhigenden Botschaft – hinter seinem Ohr ein elektrisches Küchenmesser in einer riesigen, goldgerahmten Collage auf, ein Kunstwerk von ihm. Gehalten wurde das Messer von einer Zombiefrau. In einer Sprechblase stand:

«Change the fuckin Channel fuckface».

Will heissen: Der Ehemann sollte gefälligst den TV-Kanal wechseln.

«Lynchean» ging in den Wortschatz ein

Es gehörte zu den lange verborgenen Seiten von David Lynch, dass er neben seinen gefeierten Filmen stets auch als bildender Künstler arbeitete. Er schuf grossformatige Materilalbilder, Fotografien und Lithografien.

Lynch, der in den sechziger Jahren in Philadelphia Kunst studierte, war beeinflusst von Künstlern wie Francis Bacon oder Ed Kienholz. Seinen Ruhm aber verdankt er seinem Filmwerk. Mit seinem Filmstil indes wirkte er auf die Kunst zurück und beeinflusste insbesondere junge Videokünstler.

«Lynchean» ist ein Adjektiv, das eine ganz spezielle, untergründig beunruhigende Atmosphäre bezeichnet.

Seine Beziehung zu Religion und Spiritualität war komplex. Das spiegelt sein Leben und Werk. Lynch wurde als Presbyterianer erzogen, verlor aber als Teenager das Interesse an der Kirche.

Obwohl David Lynch in seinen Filmen nicht explizit christliche Symbole verwendet, können viele seiner Themen mit christlicher Theologie in Verbindung gebracht werden. Er berührte Motive wie göttlichen Vorsehung und reflektierte immer wieder über moralische Dilemmata.

Aufgewachsen als Presbyterianer

Trotz seiner Abkehr vom traditionellen Christentum hat Lynch an einer Vorstellung von einem persönlichen Gott festgehalten: als «allmächtigen gnädigen Vater und göttliche Mutter zugleich». Und als Einheit von endloser Ruhe und Dynamik.

«Ich glaube nicht, dass die Menschen akzeptieren, dass das Leben keinen Sinn macht», sagte er. «Ich glaube, das ist den Leuten furchtbar unangenehm.»

Auf der Homepage seiner Foundation kann man nachlesen, dass er TM Anfang der 1970er-Jahre entdeckte und danach ohne Ausnahme täglich meditierte:

«Zwei mal täglich, jeden Tag.»

Dies habe ihm ungeahnte Quellen der Energie, Ausgeglichenheit und Freude erschlossen. «Wenn du nicht bereits meditierst, beherzige meinen Rat: Starte, es wird die beste Entscheidung sein, die du je getroffen hast.»

Das Meer der Vielfalt

Die verschiedenen Religionen betrachte David Lynch wie Flüsse, die alle in ein Meer münden.

Er schwamm in diesem Meer auf seine eigene Weise und schätzte die Vielfalt spiritueller Ansätze.

Auf die Frage «Wie könnte man die immer schneller vergehende Zeit bremsen?» antwortete der Regisseur übrigens nach einer Weile konzentrierten Nachdenkens aufrichtig und mit leisem Lächeln:

«Ich weiß es wirklich nicht.»

Am 16. Januar 2025 ist David Lynch im Alter von 78 Jahren gestorben.

Info: Transzendentale Meditation

Auch Popgrössen wie die Beatles oder die Rolling Stones standen der von Maharishi Mahesh Yogi initiierten Bewegung nahe. In den 1970er-Jahren befand sich das Zentrum der von Begeisterung, aber auch von viel Skepsis begleiteten Bewegung zeitweise in der Schweiz, im Bergdorf Seelisberg. Kirchlicherseits wurden kritische Handreichungen gegen Aktivitäten der als Sekte eingestuften Bewegung erarbeitet. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Wogen geglättet.

Bild: David Lynch, Wikimedia Commons

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