Über Bademeisterinnen existieren zwei Klischees: Entweder sie hechten in leuchtendroter Kleidung sexy ins Wasser und retten Menschen vor dem nahen Tod. Oder dann sitzen sie den ganzen Tag an der Sonne und tun, genau: nichts.
Fabienne arbeitet seit sieben Jahren als Bademeisterin. Wieviel diese Klischees mit der Realität zu tun haben, und was sich in einigen Zürcher Freibädern tatsächlich so alles abspielt, erzählt sie in dieser Sommer-Kolumne.
Da Badis sensible Orte sind, wurden die Angaben zu Gesprächen und Erlebnissen verfremdet. Manches ist genau so geschehen, manches nicht ganz.
Schwierige Kommunikation ist daily business
Eine Trillerpfeife gehört zu den machtvolleren Instrumenten einer Bademeisterin. Umso sparsamer muss man sie einsetzen, sonst nimmt einem niemand mehr ernst.
Badegäst:innen haben ein sehr feines Gespür dafür, wie sich das Personal Autorität verschafft. Trillerpfeife und laute Stimmen wirken.
Sie funktionieren jedoch nach einem eher unschönen Prinzip: Gehorsam durch das Einsetzen von Macht. Nichts, was ich schätze, wenn andere das mit mir machen.
Hier ist eine Erkenntnis, die einem selten jemand in der Ausbildung beibringt: Ein Grossteil der Arbeit als Bademeisterin besteht aus Kommunikation und dem Finden von Kompromissen.
Ich bin zwar sehr froh, dass ich weiss, wie sich ein anaphylaktischer Schock, eine Rückenverletzung oder ein epileptischer Anfall zeigen. Doch unser daily business läuft zu 95 % über Kommunikation.
Wie so oft, gibt es auch hier viele verschiedene Ansätze.
Kommen Kinder mit den fantasiereichsten Ideen, wie etwa, eine Wasserrutsche von der Fahnenstange zu bauen, oder wollen sie mit dem Blasio – schwimmende Fantasie-Gebilde, welche Geflüchtete früher für die Stadt herstellen – als Piratenschiff auf den See hinaus, ist der Fall einfach: Man darf nicht allzu viel lachen und muss ihnen irgendwie klar machen, dass die Idee zwar gut, die Umsetzung jedoch keine sichere Sache ist.
Regeln ernst nehmen oder Auseinandersetzung suchen?
Kommen sie weinend in die Sanität, braucht es eine Strategie, dass wir sie schnell verarzten können: Mein Chef hatte die geniale Idee, ein Plüsch-Schaf mit Pflastern zu verkleben, das sie halten können. Die Kinder tauen fast jedes Mal innert Sekunden auf.
Ausserdem muss man sie irgendwie austricksen, dass sie das Desinfektionsspray erdulden, einer der grössten Feinde von kleinen Kindern. Meistens hilft die Bitte, dass sie jetzt ganz kurz sehr tapfer sein müssen, weil es etwas brennt, aber dass es schnell vorbei ist. Am Ende sind sie ganz stolz, dass sie es durchgestanden haben.
Schwieriger ist es, mit Teenager und Erwachsenen zu verhandeln.
Einige Arbeitskolleg:innen lösen das Potenzial für Konflikte, indem sie die Regeln nicht so genau nehmen und locker auf Verstösse reagieren. Ich würde mich schon zu den strengeren zählen (das sagen auch meine Kolleg:innen).
Ich suche die Auseinandersetzung, wenn eine Gruppe Teenager trotz mehrfacher Erinnerung von verbotenen Orten ins Wasser springt. Wenn sie respektlos mit uns umgehen, oder wenn eine Truppe sehr selbstbewusster junge Männer meint, die Anweisung der Kollegin ignorieren zu müssen und mit Bierflaschen aufs Floss schwimmen.
Ein Date im Naturschutzgebiet
Doch manchmal stellt sich die Frage, ob man jetzt die Regeln kaltherzig durchsetzen will.
Nehmen wir zum Beispiel diesen einen Sommerabend, als ein Typ mit seinem Date an den See kam. Voller Eifer pumpte er ein Standup-Paddle-Board auf. Dumm nur, dass der Ort, an dem ich damals arbeitete, ein Naturschutzgebiet war. Sämtliches Equipment, von Bällen bis Standup-Paddles, waren tabu. Wir hatten es sogar extra auf der Website stehen.
Mein Kollege und ich sahen uns an. Sollten wir das Date ruinieren?
«Ach komm, wir geben ihnen ein bisschen Zeit. Kann ja gut sein, dass wir jetzt halt gerade mit etwas anderem beschäftigt waren», grinste er.
Wir gönnten den beiden zehn Minuten auf dem See – so lange, wie wir für einen kurzen Reinigungs- und Toilettenpapier-Check benötigten – dann sammelten wir sie ein. Am Ende sassen sie glücklich gestrandet auf der Wiese.
Salto mit Luftkuss
Und dann kommt es vor, dass ich mich geschlagen geben muss und keine Trillerpfeife der Welt etwas nützt.
Einer meiner Lieblingsmomente war eine Auseinandersetzung mit einem Teenager. In einem Flussbad, in dem ich arbeitete, wollte er vom Dach des Restaurants springen.
Obwohl die Stadt ein Gitter installiert hatte, war er durchgeklettert und stand auf dem Dach. Ich nahm meinen Feldstecher. Auch er beobachtete mich genau. Ich wedelte mit der Hand.
Einen Moment zögerte er. Dann blies er mir einen Luftkuss zu, nahm Anlauf und flog in einem perfekten Vorwärts-Salto ins Wasser.
Durch meinen Feldstecher verfolgte ich seinen Weg. Doch er hatte gar nicht vor, abzuhauen. Er schwamm grinsend auf mich zu.
«Das darfst du nicht machen!», rief ich. «Das ist gefährlich!»
«Warum, der Fluss ist doch tief genug?»
«Ja schon, aber er hat mehr Strömung als du denkst. Wenn du nicht aufpasst, dann springst du womöglich auf Menschen. Manche tauchen auch unter Wasser!»
«Ja, aber jetzt hat es keine Leute. Ich habe extra geschaut.»
«Und überhaupt: Wenn andere das sehen, denken sie, ‘Das kann ich auch!’ und dann können sie es vielleicht nicht und wir haben den Salat.»
«Ja, aber ich weiss ja, dass ich es kann. Ich passe auf.»
Ich musste mich echt zusammenreissen, um nicht laut loszulachen. So herrlich uneinsichtig und umsichtig zugleich konnte nur ein Teenager sein.
In diesem Sinn muss ich auch gestehen, dass es ein bisschen eigennützig ist, meine Trillerpfeife auf die seltenen Momente zu beschränken, in denen ich innert Sekunden die Aufmerksamkeit brauche. Denn ohne sie führe ich bedeutend unterhaltsame Gespräche.
Illustration: Rodja Galli