Endlich wird es draussen herbstlich, also früher dunkel und auch deutlich kühler. Zu kühl, um in einen Fluss oder See zu müssen. Endlich muss ich mich nicht mehr rechtfertigen für mein Hobby: Denn ich bade gerne. Und zwar meine ich zu Hause, in der Badewanne. Das ist so eine Art Zuflucht, meine kleine Insel. Ich schliesse die Tür, bereite alles vor: Musik, etwas zu trinken, auch mal den Laptop, wenn ich einen Film schauen will.
Im Sommer habe ich ein schlechtes Gewissen und kann meine Badewannensessions nicht rechtfertigen. Muss mir Besserwisser anhören: «In der Schweiz ist man nie weiter als 12 km vom nächsten See entfernt». Mir doch egal. Das ändert sich eh alles mit dem Klimawandel. Klimatechnisch ist mein Hobby natürlich äusserst verwerflich, schändlich sogar. Doch ich kompensiere.
An den Tagen nach dem Badewannenbaden radle ich jeweils mit dem Velo statt mit dem Auto zur Arbeit. Also wenn es nicht regnet.
Ich weiss, das rettet das Klima nicht. Und hat rational gesehen überhaupt nichts miteinander zu tun. Aber ich habe beobachtet, dass ganz viele Menschen das auch so machen, und zwar ständig. Sie kompensieren schlechte Taten mit guten. Oder andersrum. Und das geht so:
Jeder hat Werte, die er irgendwann definiert hat. Womöglich in der Prägungsphase der Kindheit, auf dem Schulhof, oder spätestens in der Pubertät, wenn das mit der Zugehörigkeit und Abgrenzung extrem wichtig wird. So, und dann lebt man. Dabei gelangt man immer wieder an Weggabelungen, muss Entscheidungen fällen. Oder ein Dilemma, Zielkonflikte, kognitive Dissonanzen versperren einem den Weg. Weil das verdammte Leben so scheiss komplex ist. Hilfreich – so denkt man – sind Einteilungen. In gut und schlecht. Jeder tut das, glauben Sie mir. Ich werde mich hüten, diese Einteilungen zu werten. Ich habe keine Ahnung, was gut und was schlecht ist.
Irrationale Kompensationen
Nun geht man hin und tut etwas Schlechtes. Zum Beispiel Fleisch essen. Als Ausgleich wird dann mit dem Nachbarn eine Fahrgemeinschaft gebildet. Und zack, Karmabalance wiederhergestellt. Oder man trinkt eine Woche lang keinen Alkohol, dafür darf man dann am Sonntagabend einen Porno gucken. Ich hätte noch zig Beispiele: Zur Strafe, dass ich der Arbeitskollegin auf den Busen gestarrt habe, lese ich mal wieder ein Buch. Das ist völlig irrational und steht in keinem Zusammenhang. Ist aber zutiefst menschlich. Denn im Inneren, wo die Wertdefinitionen abgelegt sind, schreit das Unterbewusstsein nach Ausgleich, nach Balance. Wie zwei Konti, die zusammen Null ergeben müssen.
Der Prozess ist stets der gleiche.
Man belohnt sich mit etwas, das man eigentlich nicht darf, dafür, dass man einer Versuchung widerstanden hat.
Oder man peinigt sich für eine begangene Sünde. Korrelierten die Dinge wenigstens, wäre das alles ja noch einigermassen logisch. Strafe für Sühne, wobei sich das Strafmass an der Dreistigkeit misst und nicht an der Konsequenz.
Turing-Test
Ich sehe hier drin eine Chance für die erfolgreiche Meisterung des Turing-Tests. Sie erinnern sich: In den 40er Jahren prophezeite Alan Turing, es dauere etwa noch 50-70 Jahre und dann seien die Computer (er nannte sie „Maschinen“) so weit, dass sie einem Menschen vorgaukeln können, sie seien ebenfalls ein Mensch.
Die Regeln für diesen Test sind so aufgestellt, dass Mensch A vor einer Wand sitzt. Hinter der Wand sitzen Mensch B und Computer C. A sieht B und C nicht, kann aber über eine Tastatur Fragen stellen und Antworten erhalten, 5 Minuten lang. C muss so tun, als wäre er ein Mensch und entsprechend antworten. B natürlich auch. Nach 5 Minuten muss A sagen, ob B oder C der Computer ist.
Nun, wie erläutert, da Computer sich logisch und rational verhalten, wäre es vielleicht eine Chance, auf diese Art die Gaukelei zu entlarven.
Die Mechanik der Pointe
Eine weitere Möglichkeit sind Witze. Kann der Computer einen Witz erkennen? Womöglich. Findet er ihn lustig? Wohl kaum. Klar, über Witze lachen ist sozialisiert und antrainiert. Doch bei vielen Witzen ist die Mechanik der Pointe die der Irrationalität. Beispiel gefällig? Im Junior-Heft lese ich: Fritzli hat einen komplett verschmierten Mund, rot von Tomatensauce. Da fragt der Lehrer: „Na Fritzli, gestern Spaghetti mit Tomatensauce gegessen?“ „Reingelegt, Herr Lehrer, das war vorgestern!“ Wenn Sie jetzt gelacht haben, sind Sie kein Computer.
Das ist wichtig zu wissen, denn schliesslich will man kein Computer sein. Warum eigentlich nicht?
Es gibt Gruppierungen, die setzen sich für Computerrechte ein. Und wer sagt, dass Computer umsverroden so sein wollen, wie Menschen? Ich verstehe auch nicht, warum eine Tofuwurst aussehen muss wie eine Bratwurst. Der Vegetarier will ja fleischlos essen und nicht ein Fleischimitat. Aber das nur nebenbei.
Ich bin froh, gibt es Witze. Immer wenn ich lachen muss, weiss ich, dass ich ein Mensch bin. Denn im Alltag ist das viel schwieriger.
Fast jede Woche muss ich auf irgendeiner Plattform beweisen, dass ich ein Mensch bin. Meistens tue ich das, indem ich Hydranten erkenne oder Fussgängerstreifen. Ja, genau das macht uns Menschen aus.
Manchmal ist es auch einfacher. Und ich muss lediglich „Ich bin kein Computer“ anklicken. Ich frage mich, was Computer eigentlich gegen Computer haben. Die hassen sich so richtig. Schade. Ich hatte mir mehr Unmenschlichkeit von ihnen erhofft.
Doch halt, die Computer wurden ja von Menschen programmiert. Wir können ihnen also schwerlich die menschlichen Eigenschaften vorwerfen. Fragt sich, ob die Computer, wenn sie dereinst selbst denkend und intelligent sind – also so in ein paar Monaten – uns Menschen für Götter halten, oder für Idioten.
Geht es nach den Kreationisten, hat Gott uns Menschen erschaffen. Und zwar nach seinem Ebenbilde. Ist damit nur das Äusserliche gemeint, oder auch Charaktereigenschaften? Falls ja, welches sind nochmals die göttlichen Eigenschaften in uns…?
Wenn Sie es wissen, schreiben Sie es mir: lukas.meyer@memail.com. Oder schreiben Sie mir einen Witz.
Einen hab ich übrigens noch, stammt ebenfalls aus dem Junior-Heft, was dann auch meine Empfehlung der Woche ist. Tolle Themen, lustige Spiele, überparteilich, konfessionslos und coronafrei. Der Witz geht so: «Papa, warum ist im Ozean so viel Wasser? – Ist doch ganz klar: Weil sonst die Schiffe zu viel Staub aufwirbeln würden!»